Expertenregierungen

 

Expertenregierungen1

 

Ja, die Welt ist eine Ansammlung von komischen Tieren,
Die sich an das Leben klammern und nur selten amüsieren.
Um gleich alle zu beschreiben fehlt die Zeit mir momentan,
Und so führe ich nur einige als Beispiel an:


Ja, ein Dramatiker ist ein Stückeschreiber,
Und ein Fanatiker ist ein Übertreiber,
Und ein Botaniker ist ein Blumengießer,
Und ein Romantiker ist ein Frauengenießer,
Ein Philharmoniker ist ein Staatsmusiker,
Der Pension kriegt, wenn er nicht mehr gut gefällt -


Aber was für Ticker ist ein Politiker,

Woher kommt er und was will er von der Welt?
Aber was für Ticker ist ein Politiker,
Woher kommt er und was will er von der Welt?

 [...]

 
Man braucht Kesselflicker und Autobuslenker,
Elektrotechniker und Serviettenschwenker,
Vor Gericht braucht jeder einen Verteidiger,
Dieser Verteidiger ist Akademiker,
Ich bin kein Zyniker und kein Polemiker,
Ich verehre diese Leute wirklich sehr -


Aber was für Ticker ist ein Politiker,
Eines Tages gibt's den sicherlich nicht mehr!
Aber was für Ticker ist ein Politiker,
Eines Tages gibt's den sicherlich nicht mehr!

 Georg Kreisler

 

I Expertise und Politik

II Blumenberg: Meinung und Wissen als Rhetorik

III Griechenland '11

IV Repräsentation, Terror, Geheimnis

V Philosophenkönige und der ewige Friede

VI „I'm not a scientist...“

VII Der Fall Bratušek

VIII Schluss

 

 

I Expertise2 und Politik

 

Im Zuge politischer Krisen taucht in letzter Zeit vermehrt das Phänomen von Experten- oder Technokratenregierungen auf. Das sind Regierungen, die aus Leuten bestehen sollen, die über das notwendige Fachwissen verfügen, tiefgreifende Reformen durchzuführen, durch schwierige Phasen des Übergangs zu manövrieren oder eine Zeit tiefer Spaltung und Feindseligkeit zu überbrücken. Das heißt, trotz aller Krisen eine handlungsfähige Regierung zu bilden. Diese Leute sind keine professionellen PolitikerInnen und sollen keine sein, sie sollen einen Kompromiss jenseits politischer Lager und Ideologien verkörpern. Häufig kommen sie direkt aus dem akademischen Betrieb.

 

Im Grunde ist das implizite Diktum, man könne sich von Politik abwenden und sozusagen „Politik ohne Politik“ machen, absurd. Aber offenbar wird diesen Regierungen geglaubt, oder es soll ihnen geglaubt werden, dass sie sich rein von der Zweckmäßigkeit von Maßnahmen bewegen lassen, und von keiner anderen Art von Gründen. Dabei ist es schwer, Maßnahmen zu finden, die von keinen Voraussetzungen ausgehen, die in historisch gewachsenen Überzeugungen und Denkschulen wurzeln. Denn schon muss die Frage nach nichtpolitischer Zwecksetzung gestellt werden. Kann es so etwas geben?3

 

Das Thema Fachkompetenz wird, wie es den Anschein hat, in Medien und Politik weniger intensiv diskutiert als im privaten Austausch miteinander. Es lässt sich behaupten, die Frage „kennt der sich damit denn aus?“, „hat die darin Erfahrung?“ wird im Gespräch und in Medienkommentaren, auch online, öfter gestellt, als sie in der medialen und politischen Öffentlichkeit selbst verhandelt wird. Das hat wahrscheinlich den Grund, dass PolitikerInnen ein anderes Bild von ihrem Beruf haben als die Leute, für die sie Politik machen. Es ist Gang und Gäbe, dass Posten und Verantwortlichkeiten an Personen vergeben werden, die auf dem betreffenden Fachgebiet bisher wenig Erfahrung sammeln konnten. Dass sich der Eindruck aufdrängt, andere Parameter - Proporze - wie Parteiverdienst, regionale Herkunft, Geschlecht oder Zugehörigkeit zu Gruppen, Plattformen, Flügeln, seien wichtiger, kann niemanden verwundern. Trotzdem soll es Portfolios geben, die nur an entsprechend Ausgebildete vergeben werden können, z.B. das Innenministerium, das eine juristische Ausbildung voraussetzt.

 

Jedenfalls ist die Frage berechtigt, die hin und wieder auftaucht, oder die der Begriff geradezu herausfordert: Warum haben wir nicht ständig Expertenregierungen? „Warum machen das nicht Leute, die sich auskennen und nicht rumstreiten?“ Dahinter steht dann die Frage, was eigentlich PolitikerInnen machen, was ihre Kompetenz ist und was Politik ist. Und zweitens wie das Verhältnis von Wissenschaft zur Politik ist; von Wissen, das objektiv sein soll, zu zweckgerichtetem und bedingungsreichem Handeln. Es lässt sich auch die Frage stellen, ob die Regierung Merkel nicht quasi eine solche Politik praktiziert: Pragmatisch, an der öffentlichen Stimmung ausgerichtet und zur Korrektur fähig. Es sei an die vielen heiligen Kühe des Konservatismus erinnert, die die Kanzlerin geschlachtet hat, von der Atomkraft über die Wehrpflicht, zu Mindestlohn und Frauenquote. Das ist vielleicht keiner fachlichen Einschätzung geschuldet, macht aber einen sehr unideologischen Eindruck. Oder einen opportunistischen, je nachdem.

 

PolitikerIn sein ist ja eine Funktion, kein Beruf im herkömmlichen Sinne. Den Beruf weisen die öffentlichen Profile von Abgeordneten extra aus, in der Regel gleich hinter dem Namen. Im Netz ist häufig der Vorwurf zu finden, PolitikerInnen hätten überhaupt keine oder kaum „Berufserfahrung“ und seien schon von daher nicht qualifiziert. Selbige empfangen immer wieder feindselige Zuschriften mit Vorwürfen dieser Art4.

 

Politik kann man offenbar nicht lernen, sie wird aber irgendwie ausgeübt. Diese Nicht-Identität ist im eingangs zitierten Lied pointiert auf den Punkt gebracht. Offenbar wird in der Politik einfach irgendwie „gehandelt“. Wiederum führt das zu der Frage: Wenn es keine Ausbildung und keinen Beruf gibt, wie gelangt man dann zu dieser Funktion, wie wird hier ausgewählt? Nach Expertise? Welcher? Und „was ist ein Politiker?“

 

Dichotomien, die das Verhältnis von Politik und Expertise leicht erfassbar charakterisieren können, sind schnell zur Hand. Praxis und Theorie zum Beispiel, Doxa und Episteme vielleicht, oder Zielsetzung und Zielführung. Aber dies ist natürlich vorgegriffen. Zur Analyse eines Verhältnisses müssen zunächst die betreffenden Elemente bestimmt sein. Und umgekehrt liegt gerade in diesem Verhältnis ein wesentlicher Zugang zum Begriff der Politik, aber auch der Expertise.

 

Politik ist bei Max Weber eine „leitende Tätigkeit“ im weiteren, dieselbe im Bezug auf den Staat im engeren Sinne5. Da Weber den Staat über Macht und Gewaltmonopol definiert, ist Politik für ihn letztlich ein Umgang mit Macht oder mit Mächten. „„Politik“ würde für uns also heißen: Streben nach Machtanteil oder nach Beeinflussung der Machtverteilung, sei es zwischen Staaten, sei es innerhalb eines Staates zwischen den Menschengruppen, die er umschließt.“ Nun ist „Streben“ ja im Grunde keine Handlung, weder eine gestaltende noch eine verwaltende. Eher ist es eine Haltung. Das heißt, es ist weder geklärt, was politisches Handeln ausmacht, noch welche Eigenschaften für diese Tätigkeit zu haben notwendig ist. Aber zumindest ist mit „Streben“ das Element der Einflussnahme und Zielsetzung genau benannt. Die Wissenschaft dagegen strebt zwar auch (nach Wissen), soll aber nur beobachten und strebt lediglich in instrumenteller Hinsicht, also durch Mittel zum Wissenserwerb (Theorien, Paradigmata, Experimente, Verfahren, Modelle, technische Hilfsmittel usw.). Seit ihrer „Erfindung“  im antiken Griechenland zeichnet sie sich durch diese neutral-interessierte Haltung der Faszination und Distanz zu den Dingen aus. Erst durch diese Haltung und Neugier ohne praktische Bezüge der Notwendigkeit sowie in der Abstandsperspektive (Auseinandersetzung) auf Überlieferung, Mythos, Tradition und kulturellen Hintergrund wird abstraktes Denken, Kritik und damit Wissenschaft möglich.

Technik wird heute stark operativ verstanden. Wurde in der Antike einfach möglichst unvoreingenommen die Welt beobachtet, stellt sich mit dem Experiment der Renaissance die Systematisierung der Beobachtung ein:

Die Wissenschaft erforscht die Vorkommnisse in der Welt nunmehr unter selbstgeschaffenen Beobachtungsbedingungen. Mit der Herstellung dieser Bedingungen nimmt die Wissenschaft Züge der  téchne an, des beruflichen Sich-Auskennens bei der Herstellung von etwas. Von dieser Art von Wissen hatte sich die epistéme in der Antike ebenso unterschieden wie von der dóxa. Die Forschung wird zum technischen Operieren und der Forscher zum Ingenieur.“  5a

Diese Bedeutung spiegelt sich auch im Technokratenbegriff, der ein Werkeln und Reparieren statt Nachdenken und Ergründen nahelegt und damit dem Politischen Handeln  und Streben viel näher steht.

 

In einem Artikel heißt es lakonisch:Wer heute in die Politik geht, setzt sein Leben einer totalen Transparenz aus. Er muss damit umgehen, dass alle das Schlechteste von ihm denken, während er im selben Atemzug den höchsten moralischen Ansprüchen unterworfen wird. Wer tut sich das an außer eingefleischte narzisstische Naturen, die in dem medialen Dauerinteresse, das jedem ihrer Sätze entgegengebracht wird, einen steten Quell der Selbstbestätigung sehen?“, 6

 

Diese Haltung des Strebens, die Weber zur Definition heranzieht, findet sich scheinbar im Widerspruch zur Haltung von Leuten aus der Wissenschaft. Selbstverständlich können sie auch eitel und narzisstisch sein (und sind es auch), aber im Mittelpunkt ihres beruflichen Handelns steht statt Einflussnahme auf Geschehen der Wissenserwerb und das Prüfen von Wissen.7 Wechseln sie unvermittelt in die Politik, meist nicht aus eigener Initiative, betreten und markieren sie damit einen doppelten Raum: Den der wissenschaftlichen Expertise und den des politischen Handelns. Wenn sie „nach Machtanteil oder Beeinflussung der Machtverteilung“ streben, handeln sie politisch, das sollen sie aber gar nicht, sie sollen ja eben nicht Politik verkörpern sondern einen Wechsel weg von Korruption, Klientelismus, Narzissmus, Seilschaften etc. (= „Politik“) repräsentieren. Andererseits sollen sie natürlich genau das tun, politisch handeln - denn Maßnahmen zu ergreifen, ein Gemeinwesen zu steuern heißt zweifelsohne Machtverteilung zu beeinflussen. Die ExpertInnen haben plötzlich Macht und damit Verantwortung. Plötzlich bilden sie und sind sie Expertenregierungen.

 

Der Begriff der Technokraten wird relativ häufig für graue Eminenzen in Brüssel gebraucht. - Europäische Politikmacher, die weit entfernt sind, abgehobene Experten, die aber doch keine Ahnung von der Situation vor Ort haben. Stets (wie die ganze EU) ein wohlfeiler und abwesender Sündenbock für alles Mögliche. Für sie hat sich der Begriff der Eurokraten etabliert. Solch eine eigene Bezeichnung zeigt, welch wirkmächtiges Bild das ist.  Hier kulminiert die Problematik des Experten als Politiker: Er sei fachlich kompetent, aber dafür menschlich entfremdet und distanziert, wird suggeriert. Ein Ingenieur und kein Arzt. Hier wird als Kompetenz angedeutet, was sonst nur alle paar Jahre eine Rolle spielt: Volksnähe. Im Wahlkampf gerät die Suche nach Nähe zum Souverän häufig zum überzogenen, unglaubwürdigen Theater, das Kopfschütteln hervorruft. Dabei ist die Distanz zwischen Politik und „den Menschen“ nicht nur normal, sie ist von den Beteiligten auch gewollt. Ihr latente Überwindung hieße für die Umworbenen Verantwortung, Inanspruchnahme, Umstellung und - selbst Politiker zu sein. Eine Kontaminierung. Auch deswegen streben „Populismen“ auf, deswegen ist es ihnen nötig gegen „das Establishment“, das „Parteienkartell“ oder „die Altparteien“ zu wettern und sich jedenfalls als Nicht-Politiker zu gerieren: Um die Distanz zu überwinden und Politik zu machen, ohne den Menschen Politik zuzumuten.

Der Weg zum Menschen wird, besonders im Wahlkampf, oft als Anbiederung verstanden, als Opportunismus, Rhetorik, Vorspiegelung, als unglaubwürdig, als Strategie auf dem Markt der Wählerstimmen. Und doch verfängt wieder die Rede (gerade auch aus dem Mund der Politcharmeure): „Die Technokraten in Brüssel...“ - Es klingt wie „Roboter“, „herzlose Maschinen“, „Gesetzmachercyborgs“, welche Strukturen verstehen, aber nicht die Situation vor Ort und nicht die Menschen. Als fehle ihnen die Kompetenz der Politiker. Als seien sie keine.

 

 

II Blumenberg: Meinung und Wissen als Rhetorik

 

In der Politik geht es nicht um Wahrheit, sondern um das Richtige“8

 

Der Philosoph Hans Blumenberg hat diesen Themenkomplex angeschnitten im Kontext einer Anthropologie des Wissens9. Er spitzt die Frage von Wissenschaft und Politik zu auf die Dualität von Wahrheit und „Rhetorik“, die man auch Sophismus, Überredung, Redekunst oder – dem Zeitgeist folgend – in der Politik „Trickserei“10 nennen könnte. Dabei entspringt die Rhetorik als Kunst/τέχνη (s.u.) den historischen Anfängen der Demokratie im antiken Griechenland bzw. ihren kompetitiven Funktionsweisen. Es entspricht aber wohl der verbreiteten Ansicht, dass Wissenschaft Wissen schafft, anhand harter Maßstäbe, Beweise und Methoden, und die Sphäre der Politik eine Sphäre der List und Strategie ist, des Spiels um Macht, der Prätention, Illusion und des verdächtig virtuosen Umganges mit dem Wort11. (Welches Verhältnis haben nun diese Welten zueinander und was passiert, wenn sie sich vermischen?)

 

Bumenberg behauptet hingegen, es gebe eine Enttäuschung über die Rolle und Wirkung von wissenschaftlicher Beratung in der Politik, und die sei der Erkenntnis geschuldet, dass Wissenschaft nicht viel anders funktioniere als Politik, nämlich mit einer gewissen Pragmatik, mit einer gewissen Rhetorik, also Technik der Überzeugung und Überredung, und auf einen Konsens zielend. Damit bezieht sich Blumenberg auf einen der einflussreichsten Wissenschaftstheoretiker und -historiker des 20. Jahrhunderts: Thomas S. Kuhn. Kuhn änderte den Blick auf Wissenschaft grundlegend, indem er 1962 zeigte, wie wissenschaftliche Erkenntnis gewonnen wird, wie es zu Beweisen und gültigen Modellen kommt, und vor allem, auf welche Weise sich bewährte wissenschaftliche Grundansichten ändern12. Kuhn machte deutlich: Es gibt keine stufenartige Akkumulation von Wissen, sondern sich abwechselnde Paradigmata, deren Gültigkeit nicht nur davon abhängt, wie viele Phänomene, Berechnungen und Annahmen sie ausreichend befriedigend integrieren können, sondern auch von wissenschaftlicher Tradition und Autorität, Medien der Verbreitung, Schulenbildung, Weltbildern, Konkurrenz und sogar persönlichen Einstellungen. Und natürlich – für sehr lange Zeit – Religion. Die Ablösung eines Paradigmas durch ein anderes wie bei der kopernikanisches Revolution oder durch Einsteins Relativitätstheorie geschieht stets langsam und mühselig. Kuhn hat drastisch gezeigt, inwiefern Evidenz eine Frage der Rhetorik ist (um Blumenbergs Begriff hier zu verwenden), z.B. im Fall des Galilei und der Frage der Schwerkraft, die später so entscheidend war bei der Diskussion des kopernikanischen Weltbildes. Wie kann z.B. ein Körper „wissen“, ob er von der Brücke geworfen wird, oder vom Boot, das unter ihr hindurch fährt? Das widerspricht dem gesunden Menschenverstand (ein Schlüsselbegriff bei diesem Thema) und wahrscheinlich tut es das noch heute. Von der Quantenmechanik, gegen deren Prämissen noch Einstein mit aller Wucht (und im Irrtum) anschrieb („Gott würfelt nicht!“), ganz zu schweigen.

 

„Das Volk debattiert in derselben Weise über das, was gerecht oder ungerecht ist, wie die Gemeinschaft der Gelehrten über das, was wahr oder falsch ist; es akkumuliert bürgerliche Gesetze, wie jene die wissenschaftlichen, es verbessert die Regeln seines Konsens duch konstitutionelle Dispositionen, wie jene sie im Licht ihrer Erkenntnisse revidiert, in dem sie neue ,Paradigmata' schafft." 12a

 

Kuhn und Blumenberg nehmen also Bezug auf die wissenschaftlichen, lange scholastisch geprägten Diskussionen um Begriffe, Definitionen und Verständnisse. Die Politik in der Wissenschaft, wenn man so will. Es gilt im übrigen immer noch, dass wissenschaftliches Wissen in der Diskussion und Überzeugung gewonnen wird. Jedes Experiment beruht auf Annahmen und Voraussetzungen, jedes Ergebnis von Experimenten muss interpretiert werden, nichts ist voraussetzungslos. Eine Maschine wie der LHC des CERN kann ggf. das ganze Standardmodell infrage stellen. Und dann?

Die Natur, die Welt ist ein Buch, aber man muss die Buchstaben lesen können, nicht nur sie sehen13. Und lesen ist immer zu einem Anteil Interpretation. Kuhn macht letztlich deutlich, was für ein zweischneidiges Schwert „Evidenz“ ist. Angesichts der Selbstverständlichkeit und Unzweideutigkeit, mit der dieser Begriff heute verwendet wird, ist das hier eine Erwähnung wert.

 

Blumenberg weist noch auf ein Zweites hin: Die Enttäuschung über die Wissenschaft in ihrer intrinsischen Vorläufigkeit. Was ihr eignet - die ewige Revidierbarkeit und Korrigierbarkeit, ihr perpetuierlicher Charakter, ihre Existenz als Methode und damit übermenschliche Agenda (seit Descartes) - ist nicht nur äußerst unbefriedigend für alle, die mit der Lösung von Problemen beauftragt sind. Sie ist auch hochproblematisch, wenn sie als Basis für Entscheidungen dienen soll, die die Schicksale vieler Menschen betreffen. Der „rhetorische“ Charakter von Wissenschaft enthalte und schaffe keine Legitimation – die doch zwingend die Basis für Politk und Machtausübung darstellt.

 

Dass Blumenberg dieses Thema am Rande aufgreift darf man wohl dem Einfluss Arnold Gehlens zuschreiben, der Blumenbergs Philosophie wie kaum ein zweiter beeinflusst hat, besonders in anthropologischer Hinsicht. Allerdings hat Gehlen die Rolle von Experten in einer komplexen Welt noch wohlwollend als notwendig und prestigevoll gesehen. Blumenberg ist da bereits vorsichtiger.

 

 

III Griechenland '11

 

Expertenwissen ist exklusiv. Daraus kann ein echtes Problem erwachsen, und zwar dann, wenn dem Volk als demokratischer Souverän die Kompetenz abgesprochen wird, bestimmte Maßnahmen und Notwendigkeiten nachzuvollziehen und eine „vernünftige“ Entscheidung zu treffen. Das zweite Problem ist, dass Expertenregierungen selten gewählt sondern meistens ernannt werden. Sie sind auch nie sonderlich populär (wie sollten sie auch, das Umwerben und Präsentieren ist ja das Metier der hauptberuflichen Politik). Das heißt, die Entscheidungen sind nicht vorher in einem öffentlichen Diskurs verhandelt, kritisiert oder gar abgestimmt worden, sondern qua Expertise als notwendig „erkannt“ und durchgesetzt.

 

Diese Konstellation war Ende 2011 gegeben, als Europa über Maßnahmen und Hilfspakete für das hochverschuldete Griechenland debattierte. Der griechische Ministerpräsident Papandreou wollte vor der endgültigen Annahme des Maßnahmenbündels zunächst einen Volksentscheid durchführen lassen, entschied sich dann aber unter hohem politischen Druck dagegen.

 

Darauf veröffentlichten Anfang November der Publizist Frank Schirrmacher und der Philosoph Jürgen Habermas Zeitungsartikel, die dieses Vorgehen der Entmündigung und Entdemokratisierung heftig kritisierten und eine Debatte im deutschen Feuilleton auslösten14. Schirrmacher schrieb von „Degeneration“ europäischer Werte, einem „Machtkampf zwischen dem Primat des Ökonomischen und dem Primat des Politischen“. „Sieht man denn nicht, dass wir jetzt Ratingagenturen, Analysten oder irgendwelchen Bankenverbänden die Bewertung demokratischer Prozesse überlassen?“ Es herrsche nun eine „finanzökonomische Rationalität“. Habermas pflichtete ihm wenige Tage später bei. Er sah eine „dramatische Lage einer von „den Märkten“ kujonierten politischen Klasse“, sprach vom „Schauspiel“ und „Marionettencharakter“ politischer Akteure und fragte: „Ist es wirklich der glückliche Sieg des Sachverstandes über den befürchteten Unverstand des Volkes oder eines Spielers, der sich zum Anwalt des Volkes aufwirft?“ Die Ereignisse zeigten: „weniger Demokratie ist besser für die Märkte.“ Einmal mehr forderte er eine europäische Öffentlichkeit und deren aktive politische Teilhabe.

Vermischt war in der öffentlichen Debatte der Vorwurf des Undemokratischen und im Hinterzimmer von Dritten Ausgetüftelten, mit jenem, die Experten seien gar keine Experten, sondern Spieler und Lobbyisten, welche die blinde und naive Politik aufs Feld der eigenen Regeln gelockt hätten und ihr dort die Rechnungen diktierten.

 

Zur Expertise schrieb die taz:

Da wäre vor allem die herausgestrichene Rolle von Sachverständigen und deren überlegener Fähigkeit zur Problemlösung zu benennen. Ganz so, als ob es einen wissenschaftlichen Königsweg gäbe, den die Experten nur herausfinden müssten, um uns dann beim Händchen zu nehmen.

Umgekehrt wird rundheraus abgestritten, dass, wie beim griechischen Referendumsprojekt, das Wahlvolk überhaupt in der Lage wäre, die unübersichtlichen, sachlich schwierigen Fragen, die sowohl bei einem Ja wie bei einem Nein gegeben sind, überhaupt zu verstehen. Jeder Versuch der Komplexitätsreduktion wäre hier vergeblich. Also sei es besser, wenn die Regierung dem Rat der Sachverständigen folgte und entsprechende Entscheidungen fällte, die dann vom Parlament abgenickt würden.15

 

Es gab auch Gegenstimmen. Der Politikwissenschaftler Krause (Kiel) erklärte, schon seit Jahrhunderten gebe es den Souveränitätsverlust hochverschuldeter Staaten, und der Frust richte sich immer gegen die Gläubiger, in diesem Falle die Banken und Finanzindustrie16. Diejenigen, die durch mieses Wirtschaften die Krise herbeigeführt hätten, blieben jedoch unbehelligt.

 

Diese Debatte ist übrigens verwandt mit einer, die seit dem Ausbruch der Finanzkrise geführt wird und die Kompetenz der Ökonomie streng hinterfragt. Die Fachleute wurden zu großen Teile von der Krise überrascht (auch wenn immer irgendwer gerade eine Krise prophezeit) und konnten sich im Zuge der Bewältigung nicht als Stimme der Vernunft hörbar machen. Keine einigermaßen konsistente Botschaft, geschweige denn Analyse oder Handlungsvorschläge waren von „der Ökonomie“ zu vernehmen, sondern ein Chor unzähliger widersprechender Meinungen. Besonders objektiv, exakt und wissenschaftlich wirkte das nicht. Entsprechend desorientiert reagierte zunächst die Politik. Star-Ökonom Paul Krugman schrieb 2012:

 

For times of crisis are when economists are most needed. If they cannot get their advice accepted in the clinch – or, worse yet, if they have no useful advice to offer – the whole enterprise of economic scholarship has failed in its most essential duty. And that is, of course, what has just happened.17

 

Viele solcher Statements haben in der Ökonomie anscheinend eine neue Reflexion über Rolle und Methoden dieser Disziplin ausgelöst - allerdings nur kurz. Bemerkenswert ist das auf jeden Fall in der Hinsicht, dass Wirtschaft und Wohlstand das Kernthema politischer Gestaltung aber auch Gestaltungsspielräume ist. Zu entdecken, dass die ökonomische Wissenschaft, die auch in ruhigen Zeiten nur begrenzt gültige Prognosen und Analysen liefert, in der Krise keinen Umgang mit kollektiv erwirtschafteten Werten empfehlen kann, hat durchaus Unsicherheit erzeugt. Dies wäre ein Paradebeispiel für Blumenbergs These von der enttäuschenden Ähnlichkeit der volatilen Entscheidungsfindung in Politik und Wissenschaft.

 

 

IV Repräsentation, Terror, Geheimnis

 

Das Thema Expertenregierungen berührt aber auch die alltägliche Expertise der politischen Praxis in ihrem Gegensatz zu Ansichten (in) der Bevölkerung. Dies ist besonders dort brisant, wo die Sachverhalte nicht so leicht ins Licht der Öffentlichkeit geraten. Die antimilitaristische deutsche Bevölkerung mag manchen Auslandseinsatz hinnehmen. Aber ungeklärte Fragen der Verwicklung deutscher Militärs und Geheimdienste in Folter oder gezielte Tötung werden mit großem Unmut diskutiert. Erinnert sei an die Fälle Murat Kurnaz, Oberst Klein oder immer wieder die Rolle des BND im Irak oder Afghanistan.

 

Es gilt also zu unterscheiden, zwischen dem, was die Bevölkerung will, und dem, was die jeweilige Regierung – sagen wir „die Politik“ - als notwendig erachtet. Die Argumente auf politischer Seite sind nicht ohne Gewicht: Man müsse langfristig denken, zum Beispiel wichtige Beziehungen zu Bündnispartnern erhalten, könne sich nicht von Stimmungen und Launen lenken lassen, die sich durchaus schnell ändern können. Das würde Politik auch unpraktikabel machen. Aber vor allem könnte gesagt werden, dass „das Volk“ ja keine rationale Abwägung vornehmen muss, Maßstäbe, Parameter und Prognosen berücksichtigen, gewichten, gegeneinander halten, sondern in einer bestimmten Frage eine bestimmte Meinung vertritt, mal mehr, mal weniger deutlich und einstimmig. Vor allem aber, und das ist damit implizit bereits gesagt, ist „das Volk“ natürlich ungerecht und irrational. Es will keine Sicherheitsmaßnahmen und Einschränkung der Bürgerrechte. Aber, so kann es heißen, wenn ein Anschlag passiert, sind wir Schuld, die wir keine Vorkehrungen haben treffen lassen. In der Bevölkerung würde es sogleich eine sehr deutliche Meinung zu jenen Verantwortlichen geben.

 

Nun, - könnte die Entgegnung lauten - das ist ja richtig aber völlig irrelevant. Es ist skandalös genug, einer Bevölkerung mittelmäßig komplexe Sachverhalte nicht zuzutrauen, zu denken, sie verdränge ihre eigene Inkaufnahme, ihre Abwägung wie ein Kind. Selbst wenn dies der Fall sein sollte, so müsste sich Politik trotzdem nach diesem Willen richten, denn sie soll diesen Willen ausüben und im Namen des Volkes handeln.

 

Wirklich? Sollen die PolitikerInnen nur vertreten? Wäre es dann nicht egal, wer in den Parlamenten sitzt? Und vor allem: Wäre es dann nicht egal, ob sie in einem Feld Expertise haben oder nicht?

 

Der Historiker Paul Nolte 2015 im Interview: 

FR:Trotzdem fühlen sich viele Menschen von den demokratischen Institutionen nicht mehr vertreten. Die Entscheidung im Bundestag über die Griechenlandkredite war sehr umstritten, so, als ob ein Parlament gegen die Mehrheitsmeinung in der Bevölkerung stimme.

 

Nolte: „Das ist schon eine merkwürdige Weltsicht. Wir leben in einer parlamentarischen Demokratie, da trifft das Parlament die Entscheidungen. Die Mehrheitsverhältnisse beruhen nun mal auf den Ergebnissen der letzten Bundestagswahl, einer Wahl, die jeder beeinflussen kann. Und manchmal kann eine parlamentarische Debatte zu viel differenzierteren Entscheidungen führen, nicht weil die Abgeordneten schlauer sind als alle anderen, sondern weil sie sich ausführlicher mit dem Thema auseinandergesetzt haben, als wir das Politikern gelegentlich unterstellen. Ich bin froh, dass wichtige Entscheidungen im Parlament fallen und nicht alle einer Volksabstimmung anheimgestellt werden. Aber die Wertschätzung der repräsentativen Demokratie hat es im Moment schwer.“18

 

PolitikerInnen vertreten ihren Wahlkreis bzw. „das Volk an sich“, das heißt aber nicht zwingend, dass sie dessen Meinung zu jedem Thema vertreten müssen. Schon allein weil sie lediglich von der Mehrheit gewählt sind (was bei den derzeitigen Wahlbeteiligungen nicht einmal stimmt).

 

Das Schlüsselwort hier ist „Repräsentation“ und das bedeutet nicht die Übernahme irgendwelcher Meinungen 1:1, sondern eher die Vertretung von Ansichten und Wertegewichtungen eines bestimmten Teils der Gesellschaft. Dieser Teil wird einer Partei zugeordnet. Über Detailfragen zu entscheiden obliegt dann der Legislative. Das Problem ist freilich, viel öfter als gedacht, Zweck und Mittel auseinanderzuhalten. Das Gefühl, bei all dem nicht mehr vertreten zu werden greift dabei massiv um sich.19

Parteien sind also der Kern dessen, was Politik politisch macht. Sie berufen sich auf bestimmte Überzeugungen, Menschenbilder, Weltbilder, Religionen, Traditionen und Werte. Mitglieder von Expertenregierungen sind sehr oft parteilos. Einzelne Fragen des politischen Tagesgeschäftes müssen ein enormes Motivationspotential besitzen, um unter öffentlichem Druck und losgelöst von Parteitraditionen diskutiert und abgestimmt werden zu können. Denken wir an den Atomausstieg, die Agenda 2010 oder die Eurodebatte als Geburtsstunde der AFD. Diese Punkte hatten die Durchschlagskraft, Wahlen zu Abstimmungen über politische Richtungsentscheidungen zu machen, anstatt zu Wahlen von Parteien, d.h. weltanschaulicher Nähe. Denn im Allgemeinen wird die Partei gewählt, welche die eigenen Interessen hinreichend repräsentiert (und hoffentlich auch vertritt) und dabei die eine oder andere unbequeme Position hingenommen, weil ja eben ganze politische Programme gewählt werden, keine Lösungen zu Einzelfragen.

 

Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit.“ GG §21 (1). Politische Willensbildung heißt aber nicht nur, Meinungen und Positionen aufzunehmen und ins Politische zu überführen, in den politischen Diskurs und schließlich vielleicht eine politische Handlung. Sie bedeutet auch, dem Volk ein schematisiertes Angebot zu machen, aus dem es wählen kann. Idealerweise ist diese Lücke zwischen Volk und Parteien sehr klein. Alle können Parteien gründen und ihnen beitreten. In der Realität geschieht das recht selten, deswegen ist die Auswahl gering und das Volk kann oft nur A oder B „wollen“. In manchen Fällen ist A gar alternativlos20.

 

Übrigens problematisiert schon Weber die Parteien als Klientelgruppen, welche zuvörderst ihre Leute versorgen wollen. Weber spricht von „Pfründen“ und „Ämterpatronage“21. Er führt verschiedene Beispiele an, von „Stellenjägerparteien“ (Amerika) über feste Rotationen der Wahlsiege (Spanien) bis zu Absprachen und Ämterproporz untereinander (Schweiz).

 

Letztendlich ist eine politische Entscheidung nur schwer vorstellbar, die nicht in irgendeiner Form und von irgendwem kritisiert und skandalisiert wird. Denn das Meinungsspektrum ist sehr groß und „das Volk“ ein Konstrukt. Es herrscht – zum Glück – eine Polyphonie und die wird eher zunehmen als abnehmen, wenn Abwägungen von Interessen anstehen. Es muss aber klar sein: In diesem Falle darf Politik nicht jenes Gut voranstellen, von dem sie glaubt, dass es uns eigentlich wichtiger sei, und dessen Verlust wir ihr weniger wütend zur Last legen würden, sondern sie muss jenes Gut voranstellen, das die große Mehrheit eindeutig höher einschätzt. Das herauszufinden ist ihre – schwierige – Aufgabe. Aber schließlich gehen wir davon aus, dass bereits die Partei gewählt ist, mit deren Weltsicht, Grundsätzen und vielleicht politischem Programm – man kann dies alles als Image zusammenfassen – die Meisten sympathisieren.

 

Das gilt auch für weniger blutige Beispiele wie zum Beispiel transatlantische Freihandelsabkommen. Der immense Widerstand in der Bevölkerung schien sich in der Politik nicht wirklich niederzuschlagen. Es lässt sich behaupten, von jenen Leuten, die sich zu dem Thema eine Meinung gebildet haben, war/ist die überwältigende Mehrheit dagegen. Interessant an diesem Fall ist die Abstufung, die sich beobachten lässt. Denn unter den Abgeordneten (zum Beispiel der SPD, der zur Hochzeit der Debatte der Bundeswirtschaftsminister vorstand) gibt es durchaus große Zweifel und Diskussionsbedarf. Das gilt auch für das Europäische Parlament. Auf der höchsten Ebene der politischen Entscheidung sieht es jedoch anders aus. Sowohl die Bundesregierung als auch die EU-Kommission schienen dieses Abkommen auf jeden Fall zum Abschluss bringen zu wollen und argumentieren vor allem mit den Vorteilen, die es mit sich bringen würde. Damit verkennen sie, dass die Gegenseite die Vorteile nicht unbedingt bestreitet sondern die Nachteile als weit gewichtiger als die Vorteile einstuft. Das ist wieder die erwähnte Frage der Abwägung und damit die Frage von Mehrheiten (und Propaganda/PR/Campaigning) und Zuständigkeiten. Denn offensichtlich hat die Mehrheit in Europa keine Parteien gewählt, welche strittige Freihandelsabkommen ablehnen.

 

Der Dresdner Politologe Werner Patzelt bescheinigt der Politik repräsentativer Demokratien (und darin liege Ihr Vorteil gegenüber direkten Demokratien) eine Art Wächter- und Auswahlfunktion: „unter eigenem politischen Risiko die Sichtweisen und Sorgen der Bevölkerung ins Verhältnis mit dem zu setzen, was möglich oder tunlich ist“22. Pragmatismus also, aber auch Erziehung. Er zieht das Beispiel eines Schuhverkäufers heran, der dem Kunden einen weniger schönen aber länger haltbaren –besseren– Schuh verkauft. Zwar hat den der Kunde zunächst nicht gewollt und sich vom Chic des Schönen täuschen lassen (Hallo Platon!). Der Verkäufer als ehrlicher Makler hat diese Täuschung aber verhindert. Das sei die Leistung und „auch die richtige Rolle von Abgeordneten in einer repräsentativen Demokratie“23. Unreflektiertes Aufnehmen der Meinung von Wählergruppen sei daher genauso deplatziert wie Ignoranz.

 

 

In einem Beitrag (keinem Kommentar) der Tagesschau zur Beteiligung der Bundeswehr an gezielten Tötungen hieß es:

 

Bundeswehr und BND hatten den Auftrag, Daten über Terrorverdächtige zu sammeln und gegebenenfalls auch weiterzugeben. Alle Beteiligten ahnten, das damit gezieltes Töten möglich war. Aber der deutschen Öffentlichkeit fällt es offenbar schwer, sich einzugestehen: Die Bundeswehr war an einem Krieg beteiligt, in dem Menschen getötet wurden.24

 

Die lapidare Erkenntnis, dass zum Krieg das Töten gehört, sei der naiven deutschen Öffentlichkeit offenbar entgangen, impliziert dieser Schlusssatz. Die Öffentlichkeit müsse sich etwas eingestehen. Und zwar eine Art bittere Wahrheit, nach der Art, man müsse jetzt ganz realistisch sein. Es ist bemerkenswert, dass die Öffentlichkeit sich selbst das Handeln einer anderen Partei eingestehen muss, mit der sie als Teil der deutschen Gesellschaft unbestreitbar eng verbunden, aber nicht voll identisch ist. Vor allem, da einer der ersten Sätze des Berichtes lautet: „Was Experten seit Jahren wussten, gelangt jetzt an die breite Öffentlichkeit.“

 

Warum wurde dieser Satz so gesagt, und nicht, die Bundeswehr muss der Öffentlichkeit gestehen? Weil dies in einem Krieg, wie erwähnt, eigentlich nicht überraschen dürfte - nach Einschätzung der Redaktion. Vielleicht wird die Bundeswehr aber auch als Vertreterin der deutschen Öffentlichkeit begriffen, wie ein Kind dessen Eltern sich eingestehen muss, dass es doch nicht immer so wohlerzogen ist, wie zu Hause. Das ist aber eigentlich eine sprachliche Verkürzung von: Sie müssen sich eingestehen, dass sie mit ihrem Urteil falsch gelegen haben und/weil das Kind... etc. Aber die Gesellschaft bildet ihr Urteil natürlich auf Basis der ihr zur Verfügung stehenden Informationen. Eine Kritik an der Kommunikation der Bundeswehr ist beides nicht, ganz nach dem Prinzip: „Wer Terroristen tötet hängt das natürlich nicht an die große Glocke, das verursacht nur Aufruhr.“

 

Wie auch immer, das „Urteil der Öffentlichkeit“ kann nicht auf „ist-ja-eigentlich-klar“- Urteilen beruhen sondern muss sich auf die verlässlichen Aussagen der Organe und Behörden stützen. Das Militär handelt zwar im Auftrag der Regierung, ist aber nicht gewählt und hat kein politisches Mandat. Es folgt seiner eigenen „Expertise“, diese rät natürlich zu nur minimaler Transparenz25.

 

Immanuel Kant hat die Öffentlichkeit zum transzendental-philosophischen Kriterium von Recht und Politik erhoben. Er spricht von der Öffentlichkeit,

deren Möglichkeit ein jeder Rechtsanspruch in sich enthält, weil ohne jene es keine Gerechtigkeit (die nur als öffentlich kundbar gedacht werden kann) mithin auch kein Recht, das nur von ihr erteilt wird, geben würde.26 Nur die Öffentlichkeit kann befördern, dass im politischen Prozess niemand übergangen wird, sie dient somit der Gleichheit. Kant entwickelte diesen Gedanken sogar noch weiter und stellte zum Schluss das positiv gewendete transzendentale Prinzip auf:

 

Alle Maximen, die der Publizität bedürfen (um ihren Zweck nicht zu verfehlen) stimmen mit Recht und Politik vereinigt zusammen.“27

 

 

V Philosophenkönige und der ewige Friede

 

Wohlan, diese alles beherrschende königliche Kunst, was für ein Werk bewirkt sie uns denn? Oder etwa keines?28

 

Platon hatte eine eindeutige Meinung zu politischer Expertise. Zur Lenkung eines Staates sollten jene bestellt sein, die nach Einsicht und Ansicht des Guten streben, bewandert und gelehrt in vielerlei Hinsicht und so mit allen notwendigen Fähigkeiten ausgestattet, die Gesellschaft im Sinne des Gemeinwohls zu führen und im Sinne platonischer Gerechtigkeit29 zu organisieren. Diese Leute – Philosophen in politischer Verantwortung – werden in der Geistesgeschichte unter dem Stichwort „Philosophenkönige“ rubriziert (auch „Epistokratie“). Nach Platon müssten diese Leute schon früh ein gewisses Talent aufweisen. Sodann müsste man ihnen die beste Erziehung angedeihen lassen, um sie auf den richtigen Pfad zu führen, ihr Potential auszuschöpfen, den Geist zu schärfen, die Seele zu bilden usw. usf.

 

Platon verknüpft die Frage nach guter politischer Führung aufs engste mit der Frage nach einer guten Gesellschaft, das heißt mit der Frage nach dem Guten und nach dem guten Menschen. Deshalb ist für Platons politisches Denken die Frage nach Schulung, Erziehung und Anleitung zur Sittlichkeit dermaßen zentral. Eine förderliche Wirkung hat jedenfalls die Wissenschaft, wenn es auch hier zu differenzieren gilt. Platon zählt beispielsweise Arithmetik, Geometrie, Astronomie und Harmonik auf30. Allerdings nennt Sokrates im Dialog diese Disziplinen „Künste“ („τέχναις), meint aber auch, dass sie eigentlich eines anderen Namens bedürften. Sie Wissenschaften (Episteme) zu nennen sei mehr Tradition31. Hier wird der Technikbegriff also stark mit Methode und praktischer Anwendung assoziiert, im Gegensatz zu einem reinen Wissen, von oder über  etwas.

Politik und politische Kompetenz ist für Platon also eine im höchsten Maße ethische Angelegenheit. Der Staatsmann wird, wie der Sophist, als „Kundiger“ („ἐπιστημόνων“) verstanden32. Politik oder Staatskunst wird gar als „königliche Wissenschaft“ („βασιλικῆς ἐπιστήμης“) bezeichnet33. Im Gorgias und Politikos wird der Politiker mit einem Hirten verglichen. Für Platon geht es dabei stets um das Gute und die Frage nach dem Guten sowie/deswegen um Philosophie und philosophische Kompetenz. Dabei muss man sich Platons Begriff von Politik als einen der Gesetzgebung und Ordnung vorstellen. Für Platon gibt es deswegen durchaus eine „Politik der Seele“, d.h. ein Leben nach Regeln und Disziplinen zum Guten hin:

Die Ordnungen aber und Bildungsvorschriften für die Seele sind Recht und Gesetz, vermittels deren sie rechtliche werden und anständig, und das ist eben Gerechtigkeit und Besonnenheit.34

So, wie andere Künste (Techniken) einen Gegenstand haben, z.B. Zahlen, Zahlenverhältnisse, Gestirnbewegungen35, soll Politik das Gute schöpfen, und also wissen, wie man dies anstellt. Politik heißt also das Wissen um die Förderung des Guten, jedoch sowohl in der Polis als auch in der Seele des Menschen. Ein Politiker, der die Menschen (und damit ihr Leben) nicht besser mache, könne wohl kaum ein Politiker genannt werden. Er übe ja seine Kunst nicht aus. Platon grenzt damit deutlich und immer wieder (echte) Politik von Sophistik und Rhetorik ab, die ja bereits in der antiken Öffentlichkeit eine wichtige Rolle einnahmen. Damit spiegelt sich hier eine ganz ähnliche Problematik wie im Begriff der Expertenregierungen: Einem relativistischen, karrieristischen und opportunistischem Politikverständnis wird eines der festen, objektiven Orientierung gegenübergestellt. Das heißt bei Platon Orientierung am Guten. Da das Gute eine Idee ist, bedarf es der Fähigkeit, diese Idee erkennen zu können. Und die Erkenntnis dieser Idee ist natürlich die Domäne der Philosophen. Aber auch andere Ideen und Urbilder muss der philosophische Staatsmann erkennen können, um, ähnlich wie ein Maler ein Modell, diese ab- und nachbilden zu können36. Anders gesagt: Ohne feste und moralische zu erreichende „Zielvorstellungen“ ist Politik beliebig und auf persönlichen Gewinn ausgelegt.

 

Obwohl technê und epistêmê, also Kunstfertigkeit und Wissenschaft nicht, wie bei Aristoteles, immer klar getrennt werden können (z.B. ist für das Handwerk auch ein theoretisches Wissen notwendig), gibt es doch den Begriff des Produkts, des Ergon, der bei der technê im Vordergrund steht. Um genau sagen zu können, was ein Politiker eigentlich tut, bzw. wie er das Ergon durch seine Kunstfertigkeit (τέχνη) herstellt, nimmt Platon im Politikos die genauen Maßnahmen unter die Lupe, die ein Staatsmann ergreifen muss, um dieses Gute in und für die Gesellschaft zu fördern. Da das Gute als Staatswesen ja äquivalent zum guten Menschen konzipiert ist, zielt die Frage auf ein Ausbalancieren der Tugenden, das mit dem sog. Webergleichnis geschildert wird. Platon sieht den Politiker als einen, der, ähnlich dem disziplinierten und seine seelischen Leidenschaften ordnenden Philosophen, die Temperamente der Menschen im Staat zu einem ausgeglichenen und maßvollen Ganzen arrangiert:

 

Denn darin besteht die einzige und ganze Aufgabe der königlichen Kunst des Zusammenwebens: Niemals zuzulassen, dass sich der besonnene Charakter von den Tapferen trennt, sondern sie durch gleiche Ansichten und Ehre und Meinungen und gegenseitige Verpflichtungen miteinander zu verweben und so aus ihnen das glatte und, wie man sagt, das schön gearbeitete Gewebe herzustellen und ihnen jederzeit gemeinschaftlich die Ämter in den Städten zu übertragen.“37

 

Dies also, wollen wir sagen, sei die Vollendung des Gewebes der ausübenden Staatskunde, dass ineinander eingeschossen und verflochten werde der tapferen und der besonnenen Menschen Gemütsart“38.

 

Damit sieht es bei Platon eigentlich ähnlich aus wie bei Weber: Aus der Politik heraus wird geordnet, geführt und zwar indem Macht (d.h. auch Ämter) zugesprochen und vergeben wird. Das ganze ist Organisation und Gestaltung der Organe. Diese Staatskunst auszuüben ist aber nur wenigen gegeben und erinnert weniger an eine technê, die gelehrt und gelernt wird, als vielmehr an eine Art von kognitiver Einsicht, die manchen beschieden ist und vielen nicht. Das ist kein Wunder, denn schließlich hat Platon eine komplett elitäre Vorstellung davon, wer seinem Vermögen nach ausgewählt wird, um in Richtung Politik und Philosophie gefördert zu werden, und wer andere Aufgaben wahrnehmen soll. Eine demokratische Verfassung lehnt er daher, wie er immer wieder deutlich macht, ab. Dass die politische Kunstfertigkeit eine extrem wichtige und seltene Qualifizierung bedeutet, heißt, dass

„nie eine Menge, von was für Menschen es auch sei, zu dieser Erkenntnis gelangen und imstande sein kann, vernunftmäßig einen Staat zu verwalten“39.

 

Und: „Von vorher aber steht uns doch fest, dass nirgends der große Haufen irgendeiner Kunst sich zu bemächtigen imstande ist. […] Gibt es also eine königliche Kunst, so kann der Haufe der Reichen und das Volk insgesamt diese Staatswissenschaft doch niemals besitzen.“40

 

Dieses Erkenntniswissen hat bei Platon einen klar essentialistischen Einschlag. Hier zeigt sich die Überblendung von Wissen und handwerklicher Berufung bzw. Amt: Wie der Arzt sein Amt nun ausübe, ob er schneide, brenne, Schmerzen zufüge oder nicht, er bleibe ein Arzt, solange er seine Kunst verstehe. Dementsprechend heißt es, „wer die königliche Kunst besitzt, den müssen wir, er mag nun regieren oder nicht, auch nach unserer vorigen Rede doch immer König nennen.“41 Platon überlässt es unausgesprochen dem Publikum, den kleinen Gedankenschritt zu tun, dass dann jeder rechte Philosoph auch ein König wäre. Zugleich bleibt in Platons Werk aber auch immer deutlich: Diese esoterische Kunst ist sehr selten.

 

Staatskunst ist dabei ein Art Wissen, das dem heutigen Politikverständnis manchmal sehr nahe kommt. Platon schildert dieses Verständnis als über den übrigen Künsten stehend, weil es über deren Einsatz, Nutzen und Gebrauch entscheidet. Staatskunst sei beispielsweise nicht Redekunst,zu wissen aber, ob man etwas bei diesem oder jenem durch Überredung oder durch Gewalt durchsetzen solle, oder vielleicht ganz und gar damit innehalten42 obliege der Politik. Ebenso die Entscheidung über Einsatz der Kriegskunst. Der Kriegskunst „Herrin“ ist die Staatskunst.

 

Denn die wahrhaft königliche soll nicht selbst etwas verrichten, sondern nur über die, welchen Verrichtungen obliegen, soll sie herrschen, indem sie den Anfang und Antrieb zu allem Wichtigsten im Staat nach Zeit und Unzeit erkennt43.

 

Die Staatskunst ist also die über alle Künste „herrschende Kunst, die Gesetze und alles im Staate besorgende und alles auf das richtigste zusammenwebende44. Diese Herrschaft äußert sich aber nicht nur in der Befugnis der Zuweisung ohne eigentliche Ausübung, sondern durchaus auch in einer gewissen Expertise, die Entscheidungsfelder betreffend. Im Gegensatz zur Rhetorik, die zwar das Sprechen über einen Gegenstand lehrt, aber nichts eigentliches über denselben, also reine Gaukelei ist, muss ein gelehrter Staatsmann die Gebiete kennen, auf denen er Entscheidungen trifft:

 

„Wenn wir nun, in die öffentlichen Geschäfte eingetreten, einander zuredeten, o Kallikles, uns unter den bürgerlichen Angelegenheiten etwa mit dem Bauwesen zu befassen, mit den Mauern, Schiffswerften oder den wichtigsten heiligen Gebäuden, müssten wir uns dann nicht zuvor untersuchen und prüfen, zuerst ob wir wohl die Sache selbst verstehen oder nicht verstehen, die Baukunst und von wem wir sie erlernt haben? […] Und zweitens wohl auch dieses, ob wir schon je wenigstens zum häuslichen Gebrauch irgendein Gebäude aufgeführt haben für einen unserer Freunde oder für uns selbst, und ob dieses gut ist oder schlecht. […] Könnten wir aber keinen Lehrer aufzeigen und auch kein Gebäude oder viele zwar, aber nichts werte, dann wäre es doch gewiss unvernünftig, öffentliche Werke zu unternehmen und einander dazu aufzumuntern.“45

 

Platon legt also wert auf die Feststellung, dass für das Treffen von Entscheidungen ein Fachwissen über die betroffenen Felder notwendig ist. Das heißt auch, die Staatskunst geht über das philosophische Wissen des Guten hinaus. Es gibt für ihn deswegen wahrscheinlich keine abgetrennte Entscheidungskompetenz, die von Wissen, das heißt Erfahrung und Ausbildung im jeweiligen Gebiet, losgelöst bestehen könnte. Und das deutet wieder zurück auf die Begriffe von Episteme und Techne, die klar auf Politik als ein Wissen, ein Handwerk, eine Kunst, Kunde oder Technik verweist: Eine Kompetenz, die den genauen kausalen Nachvollzug bzw. die zielgerichtete Vorausplanung erlaubt. Eine, die ihr Werk, ihr Ergon kennt. Dies steht übrigens im Gegensatz zum heute oft gebrauchten Schlagwort der Intuition, das dem Dschungel der Politik ein Fluidum des Wilden und Irrationalen verleiht, das erspürt werden muss. Das ist dann ein Ort, in den man sich als Schatzjäger und Glücksritter vorwagt, um in diesem Gestrüpp seinen eigenen Erfolg zu suchen, mit und gegen andere. Für Platon ist Politik ein Projekt, eine Agenda, eine Richtung und eine Mission. Genauso kennt er aber die gegenteilige Ansicht und bekämpft sie mit seiner Philosophie und in seinen Schriften. Denn solch ein Politikverständnis war vor ihm da und es herrscht heute noch immer.

 

 

Mehr als 2000 Jahre später konnte Immanuel Kant Platons philosophisches Herrscherkonzept nicht unwidersprochen lassen. Er vertrat eine Perspektive, von der manche glauben, dass sie auch Platon im Alter zu pragmatischeren Ansätzen, z.B. in den Nomoi bewegt hat. Es ist der Gedanke der Unzumutbarkeit der Macht, die auch moralisch streng disziplinierte Philosophenkönige mit der Zeit korrumpieren würde. Kant hat stärker den Diskurs in der Gesellschaft, mit und durch die Gesellschaft im Blick, als die weise Lenkung von oben und Verrichtung notwendiger und indoktrinierter Pflichten unten (d.h. überall sonst):

 

Dass Könige philosophieren, oder Philosophen Könige würden, ist nicht zu erwarten, aber auch nicht zu wünschen: weil der Besitz der Gewalt das freie Urteil der Vernunft unvermeidlich verdirbt. Dass aber Könige oder königliche (sich selbst nach Gleichheitsgesetzen beherrschende) Völker die Klasse der Philosophen nicht schwinden oder verstummen, sondern öffentlich sprechen lassen, ist Beiden zu Beleuchtung ihres Geschäfts unentbehrlich46.

 

Auch die platonische Ablehnung der Demokratie findet hier keine Zustimmung47. Kant verfocht die Ideale der Französischen Revolution. Vielmehr ist Egalität ein aufklärerisches Grundprinzip seines ethischen Denkens und Vorbedingung des Austauschs, welcher die Vernunft fördert (und fordert). Karl Jaspers hat diese Haltung Kants im „ewigen Frieden“ so zusammengefasst:

 

Die Philosophie, das heißt die Vernunft soll herrschen dadurch, dass sie wirklich wird durch Völker. Nicht einzelne Philosophenkönige oder Übermenschen, sondern die in der Publizität des Miteinanderredens zu Tage kommende Wahrheit kann wirksam führen. [...] Der Weiseste soll sich an alle wenden und wissen, dass er ein Mensch wie sie und nicht mehr ist. Der Rat in den Grundsätzen, der durch die Öffentlichkeit des Denkens stattfindet, überzeugt, weil er in der Gemeinschaft erwächst, in der alle sich gegenseitig korrigieren und ihre Vernunft steigern. Die Philosophenkönige sind nicht mehr einzelne Männer, sondern der Geist einer vernünftig werdenden Öffentlichkeit.48

 

Im Übrigen sind sich Kant und Platon sehr nah in der Auffassung, als Politiker bzw. Gesetzgeber wäre Menschenkenntnis als Kenntnis vom Objekt politischen Handelns notwendig.

 

wenn sie darauf groß thun, M e n s c h e n zu kennen (welches freylich zu erwarten ist, weil sie mit vielen zu thun haben), ohne doch den Menschen und was aus ihm gemacht werden kann, zu kennen […], mit diesen Begriffen aber versehen, ans Staats und Völkerrecht, wie es die Vernunft vorschreibt, gehen: So können sie diesen Ueberschritt nicht anders, als mit dem Geist der Chicane thun49

Ein ähnliches Thema, bei Kant wie bei Platon, ist der Fluchtpunkt von Moral/gutem Handeln als unbedingt gesetzlich und gesetzgeberisch zwingend. Recht statt Gnade. Bei beiden deutet sich die Politik als ausübende, praktische Seite ethischer Grundsätzlichkeit an. Das heißt also nicht nur „gutes“ Handeln einzelner, sondern die Überführung der Verbindlichkeit des Guten als kommunizierte und sanktionierte Regeln in den Raum sozialen Handelns und pragmatischer Unwägbarkeiten. Denn auch für die pragmatische Notwendigkeit, sich im Feld des Politischen durchzusetzen, sind beide nicht blind. Bitterkeit und Enttäuschung über die herrschende Praxis findet sich deutlich bei Kant, ist aber bei Platon noch ausgeprägter50. Umso einleuchtender deswegen der Schluss: Aus dieser Praxis, aus der Empirie des Lügens, der Vorteilsnahme und ewigen Bekriegens dürfe man keine Grundsätze ableiten und sie nicht zur Rechtfertigung politischen Handelns verwenden. Der Weg zum Guten bzw. zur Moral ist bei beiden also nicht-empirisch und heißt somit Philosophie resp. Vernunft. Bei Kant wird das im ewigen Frieden als ein Verhältnis zwischen Theorie und Praxis artikuliert. Zwar sei Moral schon an sich selbst eine Praxis in objectiver Bedeutung, als Inbegriff von unbedingt gebietenden Gesetzen51, aber eben auch theoretische Rechtslehre. Politik als ausübende Rechtslehre müsse diese, also die Moral, schlicht befolgen. Kannte zielt also auf allgemeinverbindliche formale Prinzipien a priori:

 

die politischen Maximen müssen nicht von der, aus ihrer Befolgung zu erwartenden, Wohlfahrt und Glückseligkeit eines jeden Staates, also nicht vom Zweck, den sich ein jeder derselben zum Gegenstande macht (vom Wollen), als dem obersten (aber empirischen) Princip der Staatsweisheit, sondern von dem reinen Begriff der Rechtspflicht (vom Sollen, dessen Princip a priori durch reine Vernunft gegeben ist) ausgehen.52

 

Jegliche Ausflüchte funktioneller oder pragmatischer Art lässt Kant nicht gelten. Zwischen Moral und Politik, also Theorie und Praxis gibt es keine Spannungen. Es gibt auch keine Rechtfertigungen, Moral nicht umzusetzen und nicht moralisch zu handeln. Der Rückzug auf solche Argumentation, das sah Kant deutlich, würde die Gestaltungsmacht von Politik negieren und sie letztlich obsolet machen. Genau deswegen ist die heutige TINA-Formel („there is no alternative“) eine solch gefährliche und fatalistische Anschauung. Erhard Eppler sagte dazu, wo sich die Politik auf Sachzwänge berufe, höre die Politik auf, Politik zu sein. Da könne man statt einer Regierung auch einen Computer einsetzen53. Kant sieht empirische Hindernisse als unerfreuliche, doch notwendig auftretende und den Sinn für Tugend schärfende Schwierigkeiten. Sie hätten aber keine Begründung in einem theoretischen Konflikt:

 

Es giebt also o b j e c t i v (in der Theorie) gar keinen Streit zwischen der Moral und der Politik. Dagegen s u b j e c t i v (in dem selbstsüchtigen Hange der Menschen , der aber, weil er nicht auf Vernunftmaximen gegründet ist, noch nicht Praxis genannt werden muß) wird und mag er immer bleiben, weil er zum Wetzstein der Tugend dient“.54

 

Praxis ist hier also ein auf Maximen beruhendes Vorgehen, ähnlich dem Techne-Begriff bei Platon. Die Wahl der rechten Maxime hat Kant als Kategorischen Imperativ thematisiert. Gerade sein kategorischer Charakter zeichnet ihn als moralisches Gesetz im Geiste der Egalité aus. Sprachlich wiederum etwas gewendet verdeutlicht Kant hiermit, dass das formale Prinzip (Freiheit) vor dem materialen (jeweiliger Zweck) stehe:

 

handle so, daß du wollen kannst, deine Maxime solle ein allgemeines Gesetz werden (der Zweck mag sein welcher wolle).55

 

In der Kritik der Praktischen Vernunft hat Kant reine Vernunft als praktisch bezeichnet aus dem Grunde, dass ihre Hervorbringung ganz zwingenden Charakter hat. „Denn reine, an sich praktische Vernunft ist hier unmittelbar gesetzgebend.“56 Die Regel, das Gesetz ist also kategorisch (ich muss ja verallgemeinern), apriorisch (nicht empirisch) und praktisch (notwendig konsequent). Und in der Folge habe ich dann, fern von Beliebigkeit, nicht nur eine Denk- und Willensanleitung, sondern letzten Endes auch eine Handlungsanleitung, einen Imperativ.

 

Aus der Praxis der Politik selbst kann jedenfalls keine Lösung im Nachdenken über Politik und Moral gefunden werden. Dazu bedarf es der theoretischen (d.h. praktischen) Vernunft:

 

ob zwar Politik für sich selbst eine schwere Kunst ist, so ist doch Vereinigung derselben mit der Moral gar keine Kunst; denn diese haut den Knoten entzwey, den jene nicht aufzulösen vermag, sobald beyde einander widerstreiten.57

 

 

VI I'm not a scientist...

 

I think science has been politicized.”58

 

Manchmal geraten wissenschaftliche Expertise und politische Ambitionen in Konflikt. Besonders dann, wenn politische Parteien Forderungen oder Weltsichten vertreten, die einem genügend etablierten wissenschaftlichen Forschungsstand widersprechen, und zwar in einem Umfeld, in dem das Thema gesellschaftsweit diskutiert wird. Es darf geschlussfolgert werden, dass in solchen Konstellationen Weltbilder politisch vertreten werden, die von Gruppen gepflegt werden, die der Wissenschaft nicht nur fernstehen, sondern auch die Arbeits- und Erkenntnisweise der Wissenschaft generell nicht nachvollziehen wollen oder können. Dies ist vielleicht genau jener Vorbehalt, den Blumenberg gemeint hat, als er die Enttäuschung über Rhetorik als Element wissenschaftlicher Einigung formulierte. Es ist wohl aber auch Ausdruck der Komplexität und Entfremdung der Wissenschaft als „black box“ vom Alltag und den Kümmernissen vieler Menschen. Wissenschaftliche Behauptungen sind hier grundsätzlich nicht eher oder besser nachvollziehbar als alle anderen Behauptungen auch, sie können deswegen kaum Autorität beanspruchen.

 

Eine solche Konstellation gibt es z.B. in den USA mit der Skepsis der Republikanischen Partei gegenüber dem menschengemachten Klimawandel. Emblematisch ist dabei der Satz „I'm not a scientist, but...“, der häufig geäußert wurde (wird), weil er sowohl Distanz als auch Skepsis (durch diese Distanz glaubwürdig) vermittelt. Einer der ersten Verwender dieser Sprachformel war Jeb Bush. Mit dem Satz wird zunächst eine scheinbare Zurückhaltung ausgedrückt. Sie wird aber durch das folgende „Aber“ konterkariert. In dem Sinne: Ich kann nicht das Gegenteil beweisen, aber ich glaube der Wissenschaft auch nicht. Zumindest nicht ganz. Skepsis sei angebracht, sagt Jeb Bush. Eine Skepsis, die aber nicht wissenschaftlich begründet ist, gegenüber einer Methode, einer Datengrundlage oder der Stichhaltigkeit von Ergebnissen. Die Skepsis ist eine Skepsis von außen, die freilich auch legitim ist, wenn die detailliert Einsicht in ein thematisches Feld fehlt. Sie ist aber nicht unproblematisch, wenn sie vonseiten der Politik geäußert wird, deren Handeln auf belastbaren Grundlagen beruhen sollte. Und sie wird lächerlich, wenn sich die Forschung so sehr einig ist wie im Fall des Klimawandels. Jeb Bush äußerte denn auch 2011 in einem Interview mit Fox-Business:

 

„What I get a little tired of on the left is this idea that somehow science has decided all this so you can’t have a view.

 

Bush scheint Wissenschaft hier mehr als einen Debattenbeitrag zu verstehen. Als eine Meinung, wie andere auch, aber bevormundend und besserwisserisch. Und er fährt fort:

 

Science has decided that embryonic stem cell research is the way to go and if you don’t agree with that then somehow you’re Cro-Magnon Man or something like that. Governor Perry, as it relates to global warming has every right to suggest that it’s not a certainty.59

 

Im zweiten Teil seiner Einlassung bringt Bush, wahrscheinlich bewusst, forschungsethische Methodendiskurse in die Diskussion ein, deren Strittigkeit mit Erkenntnissen der Klimaforschung nichts zu tun hat. Mit dem Hinweis auf die umstrittene Stammzellenforschung hat Bush Wissenschaft als eine Diskussionsteilnehmerin etabliert, die ihre eigene fragwürdige Agenda verfolgt, ein merkwürdiges Menschenbild hat und somit als objektive Instanz in diesem Diskurs, wenn vielleicht nicht diskreditiert, so doch zumindest deutlich infrage gestellt ist. Bush hat damit genau das vollzogen, was er kritisiert, er hat Wissenschaft politisiert. Dies erstens durch die Infragestellung der Rolle und Motive von Wissenschaft in diesem Zusammenhang. Wissenschaft ist plötzlich eine Akteurin, die für uns entschieden und uns entmündigt hat. Und zweitens durch die Vermengung mit wissenschaftsnahen und -relevanten, aber nicht wissenschaftlichen Fragen der Forschungsethik.

 

Mit dem Statement, man sei kein Wissenschaftler, wird dabei auch eine implizite Trennung der Relevanzen vorgenommen, wie Bush das auch andeutete mit „I think science has been politicized.”  Wenn ich kein Urteil fällen kann, weil ich nicht Teil der Welt der Wissenschaft bin, ihr damit aber auch nicht direkt widersprechen kann, welche Relevanz hat dann Wissenschaft überhaupt? So ist die Relevanz von wissenschaftlicher Expertise für politische Entscheidungen grundsätzlich infrage gestellt. Politik und Wissenschaft sind exklusive Sphären, welche sich nicht berühren, weil sie einander nicht einsehen können. Sie können also auch nicht aufeinander einwirken. Im Grunde ist dies eine Fortsetzung der Elfenbeinturm-Polemik: Die Wissenschaft ist weltfremd. Wir können sie nicht verstehen, und wir sind uns sicher: Sie kann uns noch viel weniger verstehen. Damit wird Wissenschaft freilich auch immer ein wenig lächerlich gemacht und die Frage nach ihrer Berechtigung in Sichtweite gezogen.

Jeb Bushs eigener Sohn, George P. Bush hat eine sehr ähnliche Sprache gewählt. „We need to depoliticize (the question of whether it is human-caused) and allow the scientists to make that decision,60, sagte er dem Houston Chronicle 2014. Was sich zunächst vernünftig anhört, mutet jedoch ein wenig merkwürdig an, wenn man fragt, was er mit Politisierung der Frage meint, von welcher Seite sie erfolgt und wie mit einer „Entscheidung“ der Wissenschaft umzugehen sei. Selbstverständlich urteilen nicht PolitikerInnen über die Ursachen des Klimawandels61. Das hat niemand behauptet. Deswegen bleibt schleierhaft, was mit Entpolitisierung gemeint sein soll. Natürlich soll die Forschung ihren Job machen und Ergebnisse liefern. Es bleibt also nur die logische Schlussfolgerung, dass Bush solche zur Zurückhaltung aufruft, die vor dem Klimawandel warnen und Konsequenzen fordern. (Konsequenzen für die Wirtschaft lehnt George P. Bush ab.) Hier wird also das Statement der Zurückhaltung noch weiter getrieben, die Trennung der Welten ist perfekt: Nicht nur man selbst muss sich einer Einschätzung enthalten, sondern auch alle anderen! Unter der Hand wird dabei suggeriert, es sei noch keine „Entscheidung“ seitens der Forschung gefallen. Eine mögliche politische Konsequenz ist in diesem Kontinuum gar nicht denkbar. Mit dem Gestus der Bescheidenheit vorgetragen macht diese Forderung jedes Sprechen über den Klimawandel illegitim und anmaßend.

 

Es gibt eine großartige Auflistung republikanischer PolitikerInnen, die die Floskel I am not a Scientist... verwendet haben62. Sie scheint eine zeitlang eine probate Strategie gewesen zu sein, sich aus der Diskussion herauszuhalten und kein Risiko einzugehen: Ich kann der Wissenschaft zwar nicht widersprechen, ihre Aussagen aber auch nicht affirmieren. Besonders bemerkenswert ist der Satz von Marco Rubio vom Dezember 2009: „I’m not a scientist. I’m not qualified to make that decision”. Er steht im Widerspruch zu den hier im Aufsatz zusammengetragenen Positionen, Politik sei eine Entscheidungskompetenz und keine Fachkompetenz. Müssten wir Wissenschaftler wählen, um Entscheidungen über klimabeeinflussende Emissionen zu fällen? Wohl kaum. Hier fehlt aber der Wille, Vertrauen in eine Institution zu haben (oder zu signalisieren), welche nachprüfbare Aussagen trifft, auch solche, die einem nicht gefallen, oder die man kaum glauben kann. Solcher Widerstand kann einem starken, konsistenten Weltbild geschuldet zu sein. Primär ist dann stets die eigene Sicht auf die Dinge. Diese darf und soll von außen nicht gestört werden.

 

Ist das ein Zeichen dafür, dass die Politik (in den USA) immer ideologischer wird? In einem Land, in dem es so viel Skepsis gegenüber der Evolutionstheorie gibt, wie in keinem anderen Industrieland? Wo viele Menschen und einflussreiche Gruppen die Bibel wörtlich nehmen und Dinosaurierskelette für einen Komplott „der Wissenschaft“ halten?

 

Ich glaube nicht, dass sich in der Hinsicht sehr viel geändert hat und wissenschaftliche Erkenntnis und Methode stärker bezweifelt werden als früher. Aber ich glaube, dass der politische Wettkampf immer härter, die Skrupel immer weniger werden, und damit auch die Bereitschaft wächst, wissenschaftliche Erkenntnisse zu instrumentalisieren, zu verdrehen und bis ins Gegenteil zu verkehren.

In the book I was promoting I write about the tendency of politicians to use data not to devise thought-through policy and challenge their own opinions, but for confirmation bias. The climate change deniers in the U.S. have this confirmation bias down to a fine, and dangerous, art.63 Diese Kunst nennt sich Rhetorik.

 

 

VII Der Fall Bratušek. Arten der Expertise

 

Nicht lange, nachdem Jean-Claude Juncker die Europawahlen 2014 gewonnen hatte, stellte er sein Wunschkabinett vor. Bekanntermaßen werden alle designierten KommissarInnen vor den jeweiligen Ausschüssen des Europaparlaments „gegrillt“, d.h. sie werden drei Stunden lang intensiv befragt. Bevor der Europäische Rat die Kommission endgültig bestätigt, gibt das Parlament so seine Zustimmung oder Ablehnung. Es kann eigentlich nur über die gesamte Kommission den Daumen heben oder senken. Wenn es aber einen Kandidaten für untragbar hält, übt es starken politischen und öffentlichen Druck aus, wie im Fall Buttiglione 2004. Der „katholische Hardliner“ hatte sich durch sexistische Kommentare unhaltbar gemacht. Schließlich verzichtete er auf das Amt. Auch der Ungar Navracsics konnte 2014 nicht das Vertrauen des Ausschusses gewinnen. Vor allem an seiner Haltung zur Pressefreiheit bestanden weiterhin Zweifel. Als Kompromiss wurde ihm ein sensibler Teil seines Portfolios entzogen.

 

Jean-Claude Juncker wollte in einer für Europa schwierigen Zeit neue Impulse setzen und für ein neues Selbstverständnis der EU-Kommission sorgen. Er setzte nicht nur eine neue administrative Ordnung um, die die riesige Kommission von 28 Mitgliedern in Cluster strukturierte und viel stärker subsidiarisierte. Seine Personalpolitik stärkte auch das Gewicht kleiner und mittelosteuropäischer Staaten massiv. Mit dem EP kündigte er eine intensive Zusammenarbeit an. Gewicht legte er aber vor allem auf die politische Selbständigkeit der Kommission, vor allem gegenüber dem Rat: „Wir sind nicht die Ableger und Befehlsempfänger der nationalen Regierungen.“, war sein Ausspruch bei der öffentlichen Präsentation der Kommission. „Die Kommissare sind nicht leitende Beamte hier, sie sind Politiker.“ Damit setzte er sich recht klar gegen seinen Vorgänger Barroso ab, der stets ein schwacher Kompromisskandidat des Rates war. Einer, von dem man sicher sein konnte, dass er den Staatsoberhäuptern nicht zu sehr dazwischenfunken würde.

 

Die Unterscheidung zwischen „Beamten“ und „Politikern“ impliziert aber noch viel mehr. Das eine ist Verwaltung, das andere Gestaltung. Und Gestaltung ist natürlich eine wirkungsvolle Art des Handelns, sie bedeutet die Herbeiführung von Veränderung nach eigenen Maßstäben und Bewertungen. Politik trifft Entscheidungen, und zwar solche, die jenseits derer von Beamten oder vielleicht „Technokraten“ liegen Das Treffen politischer Entscheidungen heißt, auf Meinungen und Überzeugungen aufzubauen. Doxa statt Episteme. Nicht im technischen Sinne des Bezugs auf die Wirksamkeit von Maßnahmen und Wahrscheinlichkeit von Prognosen. Sondern in Bezug auf Verständnisse von Werten und Zielen, denen diese Maßnahmen dienen. Zentral ist dabei vor allem die Frage, was „gerecht“ (Platon würde wohl sagen „gut“) ist, wem welche Rechte zustehen, wer über welche Macht verfügt (siehe Weber). Zudem, welche Ziele und welches Bild von sich selbst die Gesellschaft hat. Der Weg zum Erreichen dieser Ziele gehört wieder eher in die Domäne der Experten und Technokraten. Und Beamten. Beamte erarbeiten kein Wissen, aber sie setzen die politischen Entscheidungen um. Sie sind ein Mittel, quasi Techniker, die Maschinerien warten und am Laufen halten. Welche Maschinerien jedoch und mit welchem Zweck entscheiden nicht sie.

 

Ist dies die Trennung in „technê“ und „epistêmê“, die an der historischen Wurzel des Nachdenkens über Kompetenz zu finden ist? Der Begriff der Technik ist hier irreführend, weil sich darin der moderne Wissenschaftsbegriff spiegelt. Im Problem der Expertenregierungen manifestiert sich die europäische Wissenschaftsgeschichte, besonders die jüngste. Das naturwissenschaftliche Paradigma des Messens, Experimentierens und Beweisens beherrscht bekanntermaßen unser Verständnis von Wissen und Wissenschaft. Dass deren Qualifizierung als „objektiv“ hoch problematisch ist, wurde oben gezeigt. Für Platon jedoch wäre die technê durchaus eine Frage der Werte und Ziele gewesen, eine Frage des „Guten“, wie ebenfalls oben gezeigt.

 

Seit Platon ist die Frage der Legitimation der Wissenschaft unauflösbar mit jener der Legitimation des Gesetzgebers verbunden. In dieser Perspektive ist das Recht, darüber zu entscheiden, was wahr ist, nicht unabhängig von dem Recht, darüber zu entscheiden, was gerecht ist." 63a

 

Platon würde Technokraten Menschen nennen, die den Zweck der τέχνη erkennen. Denn da der platonische Techniker/Handwerker seine Handlung zum großen Teil durch das Ziel und den Zweck (das Ergon) seiner Handlung begreift, wäre ein platonischer Technokrat einer, der das Gute kennt und weiß, wie man es hervorbringt. Oder auch die guten Menschen, denn sie sind es, die ihrem Naturell nach geordnet und „verwoben“, ja von ihm „gemeistert“64 werden. Für Platon ist das Gute wissenschaftlich zugänglich, als Idee gewissermaßen potentiell sichtbar (für die Qualifizierten). Die Leute, die wir als Technokraten bezeichnen, und auch Beamte, wären für ihn mit Sicherheit weise und wissende Leute. Wohl auch Kundige oder Kunstreiche, bezogen auf ihr Metier, solange sie eine Methode und einen Gegenstand haben. Aber die Staatskunst ist eine eigene Kunst, welche sie nicht beherrschen, da sie nicht kundig sind, den übergeordneten Zweck politischen Handelns zu verfolgen. Das heißt, auch Platon sieht in Kompetenz zur politischen Gestaltung eine wissenschaftliche Exaktheit und Fachkompetenz, wie das Befürworter von Technokraten tun.  Aber bei ihm muss sich gerade diese Exaktheit auf das Metier der heutigen Berufspolitiker beziehen und könnte unmöglich abgetrennt als Fachidiotie zur Wohlgestaltung der Gesellschaft beitragen. Im Gegenteil muss der Staatsmann/ die Staatsfrau nicht nur verschiedenste Künste, Kenntnisse und Fähigkeiten integrieren, sondern auch die Gesetzgebung und die menschlichen Segmente der Gesellschaft zu einem konsistenten Ganzen verweben (s.o.).

 

Auch aktuelle Politik muss sich mit moralischen und ethischen Fragen befassen. Sie sind nicht aus dem politischen Betrieb ausgefällt, aber institutionell durchaus aus der Politik ausgelagert. Es gibt zwar Streit um sog. Leitkulturen, Diskussionen um Werte mit variierendem geographischen Attribut (deutsch, europäisch, westlich), aber auch eingesetzte Ethikkommissionen und natürlich die Religionen, die aber keinen direkten politischen Einfluss mehr genießen. Bedeutsam ist die Islamkonferenz, die seit 2006 den Dialog zwischen islamischen/muslimischen Perspektiven und dem Deutschen Staat verkörpern soll. Gestaltung, Verlauf und Resonanz dieses Dialogs waren stark vom jeweiligen Innenminister abhängig. Bei bedeutenden Fragen, die sehr stark von eigener Überzeugung abhängen, wird bei Abstimmungen im Bundestag der Fraktionszwang ausgesetzt. Wieder ein Hinweis auf die Trennung von politischem Geschäft und moralischem Diskurs.

Ein interessanter Fall der expliziten Frage nach Kompetenz ist die Ablehnung der ehemaligen slowenischen Regierungschefin Alenka Bratušek als Kommissarin und Vizepräsidentin der Kommission durch das Europäische Parlament. Bratušek hatte sich sozusagen selbst nominiert, das war bereits anrüchig. Trotzdem ging es bei ihrer Ablehnung um „Kompetenz“. Fachkompetenz? Schwer zu sagen - viele Nominierte der Kommission sind nicht unbedingt FachpolitikerInnen des Ressorts, das sie leiten sollen. Im Extremfall haben sie nur wenige Tage Zeit, sich auf die Anhörung im EP vorzubereiten. In diesen Anhörungen ist zwar die Demonstration hoher fachlicher Vertrautheit mit aktuellen und zukünftigen Themen des Ressorts gefordert. Die Fragen gehen jedoch immer in eine eher politische Richtung, z.B. „welche Vorhaben wollen Sie umsetzen?, wo liegen Ihre Schwerpunkte und Prioritäten?, welche Partner wollen Sie einbinden?, wie stehen sie zu diesem und jenem Vorschlag?“ etc. Deswegen wurde in der Berichterstattung kaum je explizit gesagt, Bratušek sei „fachlich inkompetent“ gewesen, sondern sie habe „eine schlechte Figur gemacht“65, „nicht überzeugen können“66, sich „schlecht präsentiert“67 und „failed to convince“68 in einer „desastrous performance“69. Auf das hochinteressante Bühnenvokabular bei der Beschreibung von Politik sei hier nur am Rande hingewiesen. Zum fachlichen Aspekt wurde über Bratušek nicht viel geschrieben. Nur, sie habe „zu wenig Detailkenntnisse“70 besessen und „fachlich nicht überzeugen“71 können. Ihre Nachfolgerin (Violeta Bulc) jedoch habe einen „soliden akademischen Hintergrund“72. Worte wie „Kompetenzmangel“73 oder „under-qualified“74 lassen hingegen völlig offen, um welche Arte der Kompetenz es hier ging (und geht), bzw. worin Bratušeks Versagen denn eigentlich genau bestand.

 

Können wir daraus schließen, dass es einerseits „fachliche“, andererseits „politische“ Kompetenz gibt, die es zu beweisen gilt? Ist es am Ende eine Frage der wortwörtlichen „Rhetorik“, um Blumenbergs Begriff für jene Art der Selbstpräsentation zu bemühen?

 

 

VIII Schluss

 

„Politik bedeutet, auf der Basis unzureichender Informationen entscheiden zu müssen.“75

 

Die herangeführten Beispiele und Überlegungen zeigen, dass in den unterschiedlichen Auffassungen darüber, was politisches Handeln ausmacht, was es ausmachen sollte und welche Arten von Kompetenzen die Verantwortlichen aufweisen müssten, verschiedene Denktraditionen und Gesellschaftsbilder zusammenlaufen. Dabei scheint die philosophische, also moralische Kompetenz im Laufe der Zeit untergegangen zu sein. Vielleicht ist sie auch in der „politischen Kompetenz“ aufgegangen, das ist aber zweifelhaft. „Erkenntnis des Guten“ und „moralisches Handeln“ würde wahrscheinlich von nur wenigen Befragten als Teil dieser Kompetenz genannt. Eher die Vertretung von Interessen. Es gehört aber ohne jeden Zweifel zum politischen Wettbewerb, sich als moralisch verlässlich und „guten“ Menschen darzustellen. Für jede politische Position müssen „gute Gründe“ präsentiert oder auch vorgeschoben werden. Aber ist die Selbstdarstellung Teil der politischen Kompetenz weil sie Teil des demokratischen Auswahlprozesses ist und zur Erlangung von Gestaltungskompetenz pragmatisch notwendig – wie zur Geburtsstunde der Rhetorik in der antiken Demokratie - , oder ist sie ein Aspekt von Karrierismus und der Kontaminierung von Politik durch sachfremdes und egoistisches Streben nach Macht und Prestige?

 

Das Wort „Experte“ ist ursprünglich die Bezeichnung für jemanden, der etwas erfahren, also bereits gemacht hat. So wie Platon im Gorgias (s.o.) Fachkompetenz als Ausbildung, ausdrücklich aber auch konkrete Erfahrung formuliert. Bei Experten und Technokraten, durchaus aber auch bei der Berufspolitik steht -Kompetenz- unter dem starken Verdacht, eher theoretisch und lebensfremd zu sein. Besonders akademisches Wissen wird so gesehen, aber in Katastrophenfällen als eine Art „höheres“, „jenseitiges“ Wissen in Anspruch genommen. Das heißt, dann, wenn Erfahrung versagt hat und Krisenzeiten herrschen, in denen Erfahrung kaum noch anwendbar ist. Deshalb treten Expertenregierungen auf den Plan. Ansonsten gerieren sich Politiker freilich gerne als praktisch erfahren (d.h. dann auch lebens- und volksnah), zupackend, und mit Zuständen vor Ort vertraut. Das heißt auch, nicht abstrakt zu formulieren, nicht den Anschein zu erwecken, man löse keine Probleme, weil die Lösungen struktureller Art, also unsichtbar sind. Besser bzw. schlauer ist es, pragmatische, sichtbare Verbesserungen vorzuschlagen: Mehr Personal, bessere Ausstattung, weniger Bürokratie etc.

 

Mögen Kant und Platon auch die Verfolgung ethisch richtiger Ziele in der Politik als eine exakte, vernünftige, ja wissenschaftliche Sache ansehen, so erscheint uns dies in einer politisch, ethisch und gesellschaftlich sehr komplexen und vielfältigen Welt absurd. Dies liegt zu einem großen Teil daran, dass wir als Demokratien organisiert sind und in ständigen Aushandlungsprozessen Kompromisse des Mehr oder Weniger schließen müssen. Schon dies halten wir übrigens (die Meisten zumindest) für richtig. Es geht fast nie um eine Maßnahme zugunsten eines Zieles, sondern um Maßnahmenbündel, die geraten erscheinen, eine bestimmte Entwicklung in eine genehme Richtung voranzutreiben, um letzten Endes die richtigen Menschen zu begünstigen, was dann dem eigentlichen Ziel, einem Überzeugungsziel entspricht. Dabei können diese letzten Ziele, trotz aller vordergründigen Unterschiede zwischen Parteien gar nicht so unterschiedlich sein. Materielle Versorgung aller Menschen beispielsweise. Aber sogleich folgen weitere Werturteile zur Präzisierung. Ob nämlich eine zu starke Wohlfahrt ungerecht gegenüber hart Arbeitenden wäre, ob Starke für Schwache einstehen sollen, ob Gerechtigkeit überhaupt Sache des Staates sei, dies sind Fragen der Verhältnismäßigkeit und Abwägung, bei denen Differenzen bestehen, zwischen, Parteien, Pateienlagern, Ländern, Kulturen und Kontinenten. Soll ich Unterstützung versagen, damit andere sich nicht übervorteilt sehen? Um wie viele Menschen handelt es sich denn? Schon wird die Antwort von Messungen, Statistiken, von Empirischem abhängig, das Kant so gern aus dem Urteilsprozess heraushalten wollte. Dies sind also keine simplen Konstellationen von Ziel und Maßnahme. Welche Maßnahmen überhaupt zielführend sind, ist in unseren sehr komplexen sozioökonomischen Systemen oft nur noch schwer zu sagen. Zumindest in dieser Hinsicht sollte die Wissenschaft aber Bescheid wissen. Tut sie es nicht, wie im Falle der Finanzkrise, diskreditiert sie auch mögliche Expertenregierungen, die schnell geeignete Maßnahmen finden und implementieren sollen.

 

Technokraten werden eingesetzt, um konkrete Probleme zu lösen und fördern daher einen Politikstil der Realpolitik. Umgekehrt kann eine pragmatische und in den Grenzen des „Machbaren“ denkende Politik technokratisch genannt werden. Das Ringen ums Verhältnis von Werten und Zielführung zeigt sich in solchen Konstellationen besonders deutlich - ob man es nun als Unterschied zwischen Gesinnungs- und Verantwortungsethik erkennt, als Konflikt zwischen „Fundis“ und „Realos“ oder zwischen Opportunismus und Fundamentalismus bezeichnet. Besonders in jüngster Zeit ist mit dem Regierungsstil Kanzlerin Merkels eine Art der Realpolitik wieder in Erscheinung getreten, die zunächst wenig auf Überzeugung und Gestaltungswillen zu beruhen schien. Noch 2013 hieß es: „Brandt hat für die Ostpolitik seine Macht riskiert. Schröder hat mit der Agenda 2010 seine Macht riskiert. Bei Merkel ist so etwas undenkbar.76

Scheinbar ungerührt mutete die nicht in der Tradition der CDU verwurzelte Chefin ihrer Partei viele Neuausrichtungen und neue inhaltliche Positionen zu. Nicht zu deren Schaden, darf man anmerken. Dabei schlug sie selbst so starke inhaltliche Volten (man denke noch an das Wahlprogramm von 2005!), dass man sie begründet als reine Machtpolitikerin einordnen konnte. Erst spät gab Merkel echte eigene Positionen und Überzeugungen zu erkennen, die sie gegen starke innerparteiliche Vorbehalte durchsetzen musste. Bei beiden Entscheidungen surfte die Kanzlerin jedoch auf einer riesigen Welle der aktuellen öffentlichen Stimmung und ging damit für den Moment kein Risiko ein. Das erste Mal war die Abkehr von der Atomenergie und die Einleitung der Energiewende nach dem Atomunglück von Fukushima 2011. Das zweite Mal war die Flüchtlingspolitik der ausgestreckten Hand 201677, die die Popularität der Kanzlerin dann aber nachhaltig beeinträchtigte. Diesmal war der Widerstand (bei auch hoher Zustimmung) so groß und so deutlich, dass Merkel ihre Kanzlerschaft indirekt an Gefolgschaft in dieser Sache knüpfte. Eine Entscheidung über Für und Wider der Atomenergie oder über Gründe und Konsequenzen der Aufnahme vieler Flüchtlinge können Technokraten schwer treffen, wenn sie Technokraten bleiben sollen. Denn dies ist eine Frage der Abwägung, der Überzeugungen und Werte, lässt man einmal die Möglichkeit populistischen Stimmenfangs beiseite. Um wieder zu Platon zurückzukehren: Eine Frage nach dem Guten (oder Besseren), bzw. nach dem Richtigen.

 

In der Politik geht es nicht um Wahrheit, sondern um das Richtige. Ein Steuerkonzept ist nicht wahr oder unwahr, sondern richtig oder falsch. Wie man das sieht, hängt von den Grundüberzeugungen ab. Die zu vertreten hat mit Lüge oder Wahrheit nichts zu tun. In der Politik wird nicht mehr gelogen als anderswo. Eher weniger, weil es ja dort gefährlicher ist und Politiker unter dauernder Beobachtung stehen. Es ist schiefes Moralisieren, Politiker unter den Generalverdacht der Lüge zu stellen.78

 

Für Platon wäre selbstverständlich das Gute das Wahre und umgekehrt. Deswegen sind auch Wissen, Handwerk und Erkenntnis bei ihm schwer zu trennen. Wir haben in der Zeit nach ihm diese Trennung vorgenommen bzw. zementiert: – Wir verwiesen das Wissen und Erkennen in die Wissenschaft (mit wechselndem oder ohne Zweck), die Kunstfertigkeit (techne) in Kunst, Technik, Handwerk sowie angewandte Wissenschaft  und inneres Erleben in Religion, Kunst oder Philosophie. Und was bleibt nun übrig für die Politik? Sie weiß nichts, aber setzt es um? Durch welche Art der Handlung oder des Vermögens lässt sie sich bestimmen?

 

Was reine Politik jedenfalls vom technokratischen Milieu unterscheidet, ist das Verwirklichen der eigenen Ziele. Politischer Ziele. Platon hätte an dieser Stelle eingewendet, dass das natürlich für viele Lebensbereiche, ja für das ganze Leben gilt. Und natürlich sagt das nichts über die Mittel und schon gar nichts über Kompetenz aus. Deswegen bleibt politische Kompetenz so undefiniert. Wie ganz oben ausgeführt sind die Voraussetzungen für wissenschaftliches und politisches Denken grundverschieden. Politik kann nicht in der Weise begründet werden wie Wissenschaft. Wer beides gleichsetzt, relativiert Wissenschaft, noch über Blumenbergs Rhetorik-Problematik hinaus. Sie wird zu bloßen Meinung, Glaubensfrage. Auf der anderen Seite wird damit politischer Diskurs verunmöglicht, da Überzeugungen, Werte und Begründungen zu dogmatischen Faktismen jenseits von Aushandlung und Diskussion geraten. Umso komplizierter ist das in unserer heutigen unsteten Welt, die ungeheuer diverser und pluralistischer ist, was Werte und Weltanschauungen angeht, als Athen zu Platons Zeiten. PolitikerInnen sollten kein Wissen schaffen, sondern es ihrer Arbeit zugrunde legen. Und Wissenschaftler? Dass auch sie beides nicht vermengen sollten, war als dringender Appell Teil von Max Webers Vortrag „Wissenschaft als Beruf“. Dabei sprach er sich heftig gegen politisches Redenschwingen von Hochschullehrern aus, verkleidet als wissenschaftliche Erkenntnis:

 

„Politik gehört nicht in den Hörsaal. […] Ich erbiete mich, an den Werken unserer Historiker den Nachweis zu führen, dass, wo immer der Mann der Wissenschaft mit seinem eigenen Werturteil kommt, das volle Verstehen der Tatsachen aufhört. [...] Die Unmöglichkeit „wissenschaftlicher“ Vertretung von praktischen Stellungnahmen – außer im Falle der Erörterung der Mittel für einen als fest gegeben vorausgesetzten Zweck – folgt aus weit tiefer liegenden Gründen.“79

 

Ziele politischer Gestaltung sind ein erster Schritt, doch ein zweiter folgt damit: Ein wesentlicher Aspekt ist der des Erfolgs. Wissenschaft zu betreiben definiert sich nicht über den Erfolg, den man möglicherweise hat. Und der sowohl am Begriff der Erkenntnis als auch an dem der Öffentlichkeit, also der wissenschaftlichen Gemeinschaft festgemacht werden muss. Jedoch Politik zu gestalten, zu beeinflussen, zu machen, hängt sehr wohl von der Umsetzung ab. Dies impliziert Weber, wenn er von aktiver Verteilung und Ausübung von Macht spricht. (Platon hingegen spricht von der inneren Qualität und Bestimmung, die den Staatsmann ausmache, ob er Politik betreibe oder nicht. - Ein idealistisches Konzept, dass unseren Sprachgebrauch und unser Politikverständnis nicht abbilden oder erklären kann.)

 

Wie wird politischer Erfolg nun gemessen? An harten Maßstäben? Da PolitikerInnen und Parteien stets Erfolg haben möchten (um weiteren Einfluss/Erfolg zu ermöglichen), wird alles Mögliche als Erfolg verkauft (das war zu Platons Zeiten sicher nicht anders). Und damit ist die Routine der Selbstdarstellung erreicht. In der Mediengesellschaft muss der gewünschte Narrativ, das „Framing“, der „Spin“ von Ereignissen und Personen nur stark genug durchgesetzt werden. In frühen Phasen muss der Verweis aufs Potential, politischen Einfluss zu gewinnen und zu nutzen (und die Partei voranzubringen) genügen. Später sollte man auch auf Erfolge verweisen und durch Vernetzung Einfluss und Unterstützung gewonnen haben. Es kann also im Grunde nicht überraschen, wenn Selbstdarstellung – paradoxerweise gleichzeitig Mittel und Nachweis politischen Erfolgs (deswegen von vorn herein unglaubwürdig) – derart zum politischen Geschäft gehört. Dass dies zwangsläufig zu Interessen- bzw. moralischen Konflikten führt, haben Denker wie Platon oder Kant ausführlich problematisiert.

Auch im Sinne der pragmatischen Anforderung der Durchsetzungsfähigkeit würde heute wohl kaum jemand aus dem Politbetrieb abstreiten, dass es zur Anforderung in der Politik gehöre, sich darzustellen. Alenka Bratušek ist sicher nicht abgelehnt worden, weil man befürchtete, sie könne nichts bewirken. Dafür war ihre angestrebte Position bereits zu hoch. Sie hat auch ohne Zweifel starke inhaltliche Schwächen gezeigt. Doch genau um dieses Zeigen und Nichtzeigen geht es. Denn das Ganze wäre vielleicht gar nicht so schlimm gewesen, hätte sie ihre disqualifizierende Unkenntnis mit einer brillanten Performance überspielt. In der Politik gilt im Zweifelsfall der Einfluss mehr als der Inhalt. Wer sich eloquent durchsetzen und verkaufen kann, beweist die Kompetenz, in der Politik nach oben zu kommen. Das ist, ob klar bewusst oder nicht, heute in der Politik starker Maßstab politischen Könnens, und im Wesentlichen das, was professionelle PolitikerInnen machen: Nach oben kommen. Und dort bleiben. Von außen (vom „Volk“) gesehen hingegen ist politische Kompetenz wahrscheinlich eine Mischung aus Gut-reden-können (d.h. die eigene Meinung bestätigen), für genügend Geld im Portemonnaie sorgen und einen ansonsten in Ruhe lassen.

 

„Machtinstinkt“ nennt Weber eine „normale Qualität“ von Politikern, Eitelkeit jedoch sei „die Todfeindin aller sachlichen Hingabe und aller Distanz“.80 Für Weber ist die Wertbezogenheit zentral: „Der bloße 'Machtpolitiker' [...] mag stark wirken, aber er wirkt in der Tat ins Leere und Sinnlose.“ Und um für „die Sache“ kämpfen zu können bedarf es der „Sachlichkeit“, für Weber eine Art von „Leidenschaft“, die aber das „Verantwortungsgefühls“ braucht. Hier zeigt sich ein deutlich anderer Ansatz als die von „Philosophie“ und „Vernunft“ bestimmte Quasi-Wissenschaftlichkeit (d.h. Eindeutigkeit) bei Platon und Kant. Weber kennt den jungen Parlamentarismus und Deutschlands Aufbruch in die Demokratie. Er kennt das Fin de Siècle, wo Marxisten, Royalisten, Liberale, Demokraten und Nationalisten um den Kurs des Staates streiten, wo in den Wissenschaften heftige Grundsatzdiskussionen toben, wo Fortschritt und Modernisierung förmlich explodieren, wo die religiöse Landschaft Deutschland immer vielfältiger wird, genau wie die der Lebensstile, der neuen Zirkel und Vereine und natürlich der Kunst. Als Max Weber Politik als Beruf  schreibt, ist der erste Weltkrieg gerade vorbei und die Frage nach der politischen Organisation der Zukunft ist wie niemals zuvor eine der Überzeugung und Wertmaßstäbe. Eine der grundsätzlichen Orientierung. Aber wie für Platon und Kant ist für Weber die Frage nach der Person des Politikers eine ethische.

 

Damit betreten wir das Gebiet ethischer Fragen; denn dahin gehört die Frage: was für ein Mensch man sein muss, um seine Hand in die Speichen des Rades der Geschichte legen zu dürfen. Man kann sagen, dass drei Qualitäten vornehmlich entscheidend sind für den Politiker: Leidenschaft – Verantwortungsgefühl – Augenmaß.

 

Der Leidenschaft zum Ausgleich ist das „Augenmaß“ notwendig, eine Art von „Distanz“. Sie ist nötig, um im Sinne von Verantwortlichkeit handeln zu können.

 

Distanzlosigkeit rein als solche ist eine der Todsünden jedes Politikers. [...] Politik wird mit dem Kopf gemacht, nicht mit anderen Teilen des Körpers oder der Seele. Und doch kann die Hingabe an sie, wenn sie nicht ein frivoles intellektuelles Spiel, sondern menschlich echtes Handeln sein soll, nur aus Leidenschaft geboren werden.“

 

Ähnlich wie bei Platon gilt hier wieder der Ausgleich als Königsweg, ein Zusammenarbeiten von Herz und Hirn, wertrational und zweckrational.

 

Auch heutzutage ist dieser Gedanke noch aktuell und wirksam. In der Berliner Zeitung wird das „ureigene Vermögen der Politik aus Augenmaß und Kompetenz“ formuliert. Maßstab sei sozusagen nicht Fachkompetenz sondern Entscheidungskompetenz. Hier wird Luhmann bemüht:

 

Gute Politik lebt also weniger vom peniblen Durchrechnen aller Möglichkeiten als von situativer Intelligenz. Charisma und Instinkt gehören ebenfalls zum Anforderungsprofil. [...] Keine Entscheidung, die nicht auch von einer großen Portion Nichtwissen getragen wäre. Die Politik muss, so Luhmann, wenn sie Expertenwissen übernimmt, dieses wider besseres Wissen versteifen, sie muss zum Beispiel erklären, der CO2-Ausstoß verursache eine Klimakatastrophe, um daraufhin über Interventionen entscheiden zu können. Das Geschäft der Politik besteht aus Zuspitzung, nicht aus der Abarbeitung des Bekannten.81

 

Luhmanns Theorie der funktionalen Differenzierung sagt auch, dass kein gesellschaftliches Teilsystem voll in ein anderes durchgreifen kann. Das hieße, wissenschaftliche Logik und Erkenntnis kann nicht als solche in die politische Domäne übertreten oder dort gültig sein. Sie wird in der Tat übersetzt, also verkürzt, versteift, simplifiziert, popularisiert, bagatellisiert und selbstverständlich instrumentalisiert, da überhaupt erst in der Politik Zweck hinzutreten kann. Doch die Basis für politische Entscheidungen muss neben dem oben angeführten Instinkt unbedingt auch Fachwissen sein. Und zwar Wissen im wissenschaftlichen Sinne, nachvollziehbar, überprüfbar, allgemein zugänglich und öffentlicher Diskussion und Kritik unterworfen. Je komplexer die Materie (und bestimmte Politikfelder sind mittlerweile extrem komplex) desto anfälliger sind Abgeordnete für die interessengeleitete Expertise des Lobbyismus. Die Öffentlichkeit wiederum muss deshalb auf Beweisführung und Transparenz der grundlegenden Daten, Fakten, Statistiken etc. dringen, und nicht-belastbare Aussagen als solche entlarven.82  Dieses Verhältnis hat zuletzt mit dem Begriff der Falschnachrichten/ Fake News eine unerhörte Dynamik bekommen, die bis zur Thematisierung der Legitimation, Rolle und Selbstverständnis der Medien durchstößt. Faktenchecks werden allerorten veröffentlicht und spiegeln eine wachsende Unsicherheit und Unübersichtlichkeit bei der Frage, was nun stimmt im Dschungel der Gerüchte, Berichte, Lügen, Propaganda, Klischees, Spekulationen und allseitigen Einflussnahmen.

 

 

1 Dieser Artikel entstand zur Hauptsache im Winter 2014/15 und wuchs in den folgenden Jahren noch weiter. Er ist viel länger geworden als beabsichtigt, spiegelt somit aber einige (wenn auch lange nicht alle) Facetten dieses Themas. Den zuletzt aufgetauchten Diskurs um das modische Schlagwort „postfaktisch“ habe ich vorerst nicht mehr berücksichtigen können.

 

Die Links von Tagesschau.de habe ich beibehalten, obwohl sie – wegen des idiotischen Löschungsgebots durch den 12. Rundfunkstaatsvertrag – nicht mehr abrufbar sind.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

2 Dieses Wort ist in seiner jetzigen Bedeutung aus dem Englischen herübergerutscht. Damit ist Expertenwissen gemeint.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

3 Fairerweise muss gesagt werden, dass sich im Zuge solcher Krisen meistens schon die drängendsten Probleme herauskristallisieren, die auch Teil eines gesellschaftlichen Konsens' sind. Das heißt meistens Bekämpfen der Arbeitslosigkeit und Armut, eventuell Gewährleisten der Sicherheit von Leib und Leben, Stützen von Währung und Handel, Bekämpfen von Korruption. Desweiteren eine irgendwie funktionierende Justiz sowie Vertrauensbildung gegenüber der Bevölkerung und den eigenen Sicherheitskräften und auch gegenüber anderen Staaten und potentiellen Investoren. Politikfelder wie Familienpolitik oder auch Bildungspolitik sind dagegen kaum zu gestalten, ohne sich explizit auf paradigmatische Grundüberzeugungen zu berufen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

4 http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/ein-makel-im-lebenslauf-deutsche-spitzenpolitiker-verschleiern-ihre-studienabbrueche-12194627-p5.html. Hier lassen sich auch viele Beispiele von Biographien finden, in denen politisches Engagement zwar letztendlich zur Berufspolitik führte, aber das Lernen oder Ausüben „üblicher Berufe“ ver- oder behinderte. Es schließt sich die Vermutung an, nur diese kompromisslose Art des Vollzeitengagements kann letztlich zu Positionen politischer Verantwortung führen. Und das sagt eine Menge über das politische System und seine Auslesemechanismen, von Tunnelblick bis Durchlässigkeit.

 

 

 

5 Politik als Beruf, 1919.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

5a Klaus Held: Husserls These von der Europäisierung der Menschheit, in: Phänomenologie im Widerstreit, S. 33, H.i.O.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

6 Weber heute:

 

 

 

 

7 Janis Varoufakis hat einmal die Vermutung geäußert, Akademiker in der Politik (Leute aus dem akademischen Betrieb) seien ein wenig offener, interessiert am Austausch und am Gegenüber, hörten auch besser zu. Er vermutete einen anderen Geist als Berufspolitiker.

http://www.tagesschau.de/ausland/varoufakis-221.html. Das muss natürlich in sein eigenes Image-Verständnis eingeordnet werden.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

8 Erhard Eppler 2013

 

9 Blumenberg, Hans: Anthropologische Annäherung an die Aktualität der Rhetorik, in: ders.: Wirklichkeiten in denen wir leben, Stuttgart 1981, S. 125ff.

 

10 „Politsprech“ ist inzwischen ein Begriff. http://www.taz.de/!107529/

 

 

 

 

 

 

11 Ein antiintelluktualistischer Impetus ist der Kritik der Politik oder des Parlamentarismus schon immer eigen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

  

 

12 Thomas S. Kuhn: The structure of scientific revolution.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

12a Jean-François Lyotard: Das postmoderne Wissen, S. 93.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

13 Vgl. Blumenberg: Die Lesbarkeit der Welt, 1981.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

19 Dieser Aufsatz stammt zu großem Teil und in seiner Anlegung von 2014/2015. Deswegen ist das zusammengefasste Phänomen des Rechtspopulismus und seiner Politik- („Establishment“)verachtung, wie es im Zuge der Ereignisse 2016 formuliert wurde, kaum Thema.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

20 „Das Wort suggeriert sachlich unangemessen, dass es bei einem Entscheidungsprozess von vornherein keine Alternativen und damit auch keine Notwendigkeit der Diskussion und Argumentation gebe. Behauptungen dieser Art sind 2010 zu oft aufgestellt worden, sie drohen, die Politikverdrossenheit in der Bevölkerung zu verstärken.“, so die Jury bei ihrer Kür des Unwortes des Jahres 2010.

 

21 Politik als Beruf.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

22 Patzelt, Werner: Die Sorgen der Leute ernst nehmen!, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 40/2015 S. 18.

 

 

 

 

 

23 Ebd.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

25 Hier öffnet sich ein thematischer Abzweig zum Thema der Verselbständigung von Geheimdiensten, besonders in den USA (CIA: Folter, NSA: Spionage) und Deutschland (VS: NSU). Das schließt das stringente Ausmanövrieren politischer und juristischer Kontrollinstanzen ein. Dieses Thema kann hier aber nicht weiter verfolgt werden, der Aufsatz ist ohnehin schon zu lang geraten.

 

26 Zum ewigen Frieden, Anhang II.

 

 

 

27 Ebd.

 

 

 

 

 

 

28 Euthydemos 291d.

 

 

 

 

 

 

29 Der Gerechtigkeitsbegriff ist heute sehr stark mit Gleichbehandlung assoziiert. Platons Gesellschaftsverständnis war sehr stark von Gruppendifferenzierungen und -zuordnungen geprägt. Gerecht war sein Plan im Sinne einer zweckmäßigen und „natürlichen“ (was durch Geburt bzw. Talent zusteht) Anordnung. Nicht im Sinne einer Gleichberechtigung von Kasten, die Platon zufolge schlicht nicht gleich waren und demzufolge auch unterschiedliche Aufgaben wahrzunehmen hatten. Sondern im Sinne einer Weltordnung der Arbeitsteilung. Jeder Kaste gebühre jedoch eigener Respekt, da sie zur Aufrechterhaltung des Staates notwendig sei.

 

30 Politeia 524 – 532.

 

31 Politeia 533d. Weiter wird ausgeführt, man solle es bei der Bezeichnung als Wissenschaften belassen, wenn diese Künste auch eigentlich zwischen Wissenschaft (Episteme) und Meinung (Doxa) angesiedelt seien und Erkenntnis/Verstand (Dianoia) genannt werden können.

 

 

 

 

 

 

 

 

32 Politikos 258b.

 

33 Politikos 284b.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

34 Gorgias 504d.

 

35 Gorgias 451a-c. Platon will zeigen, dass die Rhetorik hingegen keinen Gegenstand hat.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

36 Politeia 484c.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

37 Politikos 310e.

 

 

 

 

38 Politikos 311c. Platon verwendet die Webermetapher nicht nur für die Kunst des Politikers, sondern im Sophistes auch für die Rhetorik.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

39 Politikos 297c.

 

 

 

 

40 Politikos 300e.

 

 

 

 

 

 

 

 

41 Politikos 292e.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

42 Politikos 304d.

 

 

 

 

 

 

43 Politikos 305d.

 

 

 

44  Politikos 305e.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

45 Gorgias 514a-d.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

46 Immanuel Kant: Zum ewigen Frieden, zweiter Zusatz.

 

47 Unser heutiges Verständnis von Demokratie spiegelt sich aber eher in Kants Begriff „republikanisch“. Dabei legt Kant nicht nur großen Wert auf Gewaltenteilung und Egalität (jedoch ohne volle Rechtsgleichheit) sondern auch auf Repräsentation. Eine direkte Demokratie wäre despotisch, willkürlich und zu leicht zum Schaden der Wenigen oder Einzelnen. Durch Repräsentation hingegen wird eine Art allgemeiner und ausbalancierter Wille abgebildet. Zur Qualifizierung von Repräsentanten schreibt er leider nichts, aber es ergibt sich hieraus, dass Volkes Wille eingeordnet und ins Verhältnis gesetzt werden muss.

 

48 Karl Jaspers: Kants Schrift „Zum Ewigen Frieden“, in: Forschung und Wirtschaft, Partner im Fortschritt, Jahrgang 1958/4 S. 8.

 

 

 

 

 

49 Kant: Zum ewigen Frieden, Anhang I.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

50 Beide litten auch unter der Einmischung der Politik in ihre Domäne der Wissenschaft. Platon verlor seinen hochverehrten Mentor Sokrates durch ein kleingeistiges Gerichtsverfahren, seine utopischen Hoffnungen scheiterten auf Sizilien. Kant hatte mit Veröffentlichungsverboten zu kämpfen. Trotzdem hielt letzterer immer den Glauben an die Vernunft im Menschen, an Progress und Aufklärung hoch. Diese historische Perspektive fehlt bei Platon. Kant projiziert mit Blick auf die Zukunft, wie es werden sollte (muss?), Platon schildert mit dem Mythos, wie es sein sollte.

 

51 Kant: Zum ewigen Frieden, Anhang I.

 

 

52 Ebd. H.i.O.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

53 Im Inforadio (RBB) am 2.11. 2015.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

54 Kant: Zum ewigen Frieden, Anhang I.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

55 Ebd.

 

 

 

 

56 Kant: Kritik der Praktischen Vernunft §7, Anmerkung.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

57 Kant: Zum ewigen Frieden, Anhang I..

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

61 So wie bei Platon ließe sich auch hier durchaus argumentieren, dass gewisse Entscheidungen auch ein gewisses Kenntnis der Materie voraussetzen. Ähnlich äußerte sich Carl Sagan 1996 in seinem letzten Interview: If we don't understand it then who is making all the decisions about science and technology that are gonna determine what kind of future our children live in? Just some members of congress? But there's not more than a handfull of members of congress with any background in science at all. (www.youtube.com/watch?v=jod7v-m573k) Vielleicht ließe sich hier statt wissenschaftlichem „Background“ auch „Begeisterung“ einsetzen. Die Sorge, in der Politik keine Lobby zu haben, ist gewiss keine nachrangige. Trotzdem spricht aus diesem Zitat eine ähnliche Sicht wie aus dem Begriff der Expertenregierungen: Es gibt nur Fachwissen. Es ist das Zitat eines Wissenschaftlers und Experten.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

63a Jean-François Lyotard: Das postmoderne Wissen, S. 34.

 

 

 

 

 

 

 

64 „δημιουργῇ“ Politeia 342e.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

75 Peer Steinbrück 2009.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

76 Erhard Eppler 2013 http://www.taz.de/!5066900/.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

77 Vorsicht, ich meine: Keine Politik der Gnade und Almosen, sondern des Menschen- und Asylrechts. Kant hätte darauf Wert gelegt. Merkel hat diesen Kurs dann sukzessive korrigiert, um ihre Popularität - ihre Machtbasis - nicht einzubüßen.  Der ganze politische Diskurs ist ihr gefolgt und deshalb stark nach rechts abgerutscht: http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2017-09/bundestagswahlkampf-rechtsruck-themen-tv-duell-fluechtlinge.

 

 

 

 

 

 

 

78 Erhard Eppler 2013 http://www.taz.de/!5066900/.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

79 Weber: Wissenschaft als Beruf. Weber selbst war freilich stark politisch engagiert und problematisierte die Frage von Werturteilen gründlich in seiner Methodologie. Werte können nach Weber nicht wissenschaftlich, d.h. empirisch ermittelt werden, nur Mittel zur Verwirklichung dieser Werte. Damit stand er deutlich in Kantianischer Tradition (s.o.). Also vor allem darauf kommt es an, dass im Rahmen wissenschaftlicher Arbeit eine uneingestandene Vermischung sachlich und persönlicher begründeter Urteile vermieden werde, die den Anschein erweckt, als böte der Denker objektive Wahrheit, während er Ueberzeugung suggeriert.Marianne Weber: Max Weber, ein Lebensbild S. 331.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

80 Im Folgenden :Max Weber: Politik als Beruf, in: Gesammelte Politische Schriften S. 545ff.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


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